Wer die Paul Ege Art Collection in Freiburg besucht, muss Geduld aufbringen. Und wird mit fundamentalen Seherfahrungen belohnt
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17.02.2020
Den Nullpunkt der Malerei hätte man nicht unbedingt in einem Freiburger Industriegebiet erwartet. Überrascht fällt der Blick auf ein Bild an der Wand, fällt ins Bild hinein, stürzt tiefer und tiefer, ohne eine Chance des Festklammerns im visuellen Abgrund, der sich hier urplötzlich aufgetan hat. Günter Umbergs kleines unbetiteltes Werk aus dem Jahr 2001 ist ein Manifest der Nichtfarbe: bodenlose Finsternis. Abgründiges Schwarz. Pigmente wurden dafür mit Dammarharz auf einer Holzplatte fixiert. Die matte Oberfläche wirkt makellos, sie ist ohne erkennbare Handschrift, Gestik, Pinselstrich. So lässt sich nicht einmal mit hundertprozentiger Sicherheit bestimmen, an welcher Stelle eigentlich der Bildträger beginnt. Stattdessen wird der Betrachter in einen dunklen Tunnel gesogen, den man endlos durchwandern könnte. Und irgendwann beginnt man an der Fähigkeit der eigenen Augen zu zweifeln. Damit hat die Ausstellung ihren Zweck schon erreicht.
Die Sehfähigkeit auf die Probe zu stellen ist kein Kollateralschaden der Präsentation, sondern das kuratorische Ziel an diesem unerwarteten Kunstort. Gewollt hat das so der im vergangenen Juli verstorbene Sammler Paul Ege, früher Chef der Firmengruppe Alexander Bürkle. Kunst und Business beschäftigten ihn fast sechs Jahrzehnte in friedlicher Eintracht – und dadurch kommt es zum kuriosen Erlebnis, dass Besucher der Ausstellung ihr Auto vor einem Bürogebäude parken, in dessen Erdgeschoss sie eine fachgerechte Beratung zu allem bekommen könnten, was ein Elektrogroßhandel und Technologiedienstleister anbietet (laut Website etwa „Robotic Solutions“). Es hat auch Charme, dass auf dem Nachbargrundstück riesige Kabeltrommeln liegen, während an der Seite des Gebäudes eine Treppe ins Obergeschoss führt, wo man sich dann im White-Cube-Ambiente der ganz traditionellen, undigitalen, dinghaften Kunst in ihrer grundsätzlichsten Form widmet – im Spannungsverhältnis von Farbe und Leinwand.
Natürlich legen die hier gezeigten Bilder Zeugnis von einer jahrzentelang immer weiter verfeinerten Sammelleidenschaft ab. Julia Galandi-Pascual, die heute die Paul Ege Art Collection (PEAC) leitet, erinnert sich, dass bereits während ihrer eigenen Studienzeit Mitte der Neunzigerjahre von der Sammlung als einem lokalen Geheimtipp gesprochen wurde. Damals war sie noch im Keller der Unternehmenszentrale untergebracht, für den man am Empfang einen Schlüssel bekam, um ungestört Minimal-Skulpturen von Donald Judd oder „Radical Painting“-Bilder von Marcia Hafif, Phil Sims oder Günter Umberg anschauen zu können.
Die aktuelle Ausstellung „Im Garten der Farben“ beginnt nun mit größtmöglicher Subtilität: Im ersten Raum sind zwei Serien mit insgesamt vierzehn unbetitelten Lithografien von Agnes Martin zu sehen. Jedes der kleinformatigen Blätter unterteilte die amerikanische Minimalistin mit Linien, wobei sie jeweils die Abstände änderte und teilweise auch die Zwischenräume in zartesten Farbtönen kolorierte, um den Werken ihren eigenständigen Rhythmus zu verleihen. Im Zusammenklang feiern die Lithografien die dezente Schönheit der variantenreichen Wiederholung. Für diese Art von Kunsterlebnis braucht es Zeit und Ruhe – dann spürt man die Kraftfelder, die sich zwischen den Bildern aufspannen. So wie im übernächsten Raum, wo es um Farbwelten geht und Elger Essers gelbstichige Fotografie des Sees Genezareth, dessen Ufer im Nebel verschwinden, gegenüber einem Gemälde von Stephan Baumkötter hängt. Dessen blaue Leinwand ist von konturlosen grauen, rosa und grünen Farbwolken durchzogen. Man erkennt nicht, wo eine Farbe aufhört und die nächste anfängt. Die Flächen fliehen vor dem Auge wie Wasser, das haltlos durch die Finger rinnt.
Zweifellos kann man von dieser Schau als einer Schule des Sehens sprechen: Den grundlegenden Ansatz des „Radical Painting“, objekthafte Bilder zu schaffen, illustriert Marcia Hafif mit ihrer Serie „Scumble: Blue“ (2008), bei der zehn Kleinformate in graduell unterschiedlichen Blautönen an der Wand hängen. Hier geht es um die Variation von Farbe, während Peter Tollens mit den rauen Oberflächenstrukturen seiner Werke, die in unzähligen kurzen Pinselstrichen aufgetragen wurden, die Materialität der Malmittel in den Blick rückt. Die sattblauen Bilder von Rudolf de Crignis wiederum sind in zahlreichen lasierten Schichten aufgetragen, die Licht einfallen lassen und so den Eindruck einer entmaterialisierten Kunst erzeugen, die vor der Wand schwebt und jederzeit davonfliegen könnte.
Sein Museum erfreue sicher denjenigen, „der sich für die leisen Töne in einem gemalten Bild mehr interessiert als für den letzten Schrei des Kunstmarkts“, erklärte Paul Ege im Jahr 2015. Die Herausforderung ist nun, diese sehr persönliche Sammlung ohne ihn in die Zukunft zu führen. „Es hilft mir, dass ich Paul Ege seit 2004 im Museum begleitet und mit ihm die Sammlung weiterentwickelt habe“, sagt Julia Galandi-Pascual. Die Schau endet nicht zufällig mit einer Riege junger Künstler, die den Malereibegriff neu zu definieren suchen. So wie Franziska Reinbothe, die ihre Leinwände zu skulpturalen Objekten faltet und diese ab Mitte Februar auch in der Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ in den Hamburger Deichtorhallen zeigt. In Freiburg ist die Sammlung von Paul Ege bereits 2008 in eine Stiftung übergegangen. So wird das Freiburger Industriegebiet ein Pilgerort für alle Fans der radikal subtilen Kunst bleiben.
„Im Garten der Farben“
Paul Ege Art Collection, Freiburg
bis 19. April