Ausstellungen

Das Foto als Waffe

Mit seinen politischen Fotomontagen war John Heartfield einer der innovativsten und einflussreichsten Künstler der Moderne. Die große Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste ist nach dem Lockdown nun endlich geöffnet, begleitet von einem Online-Angebot

Von Sebastian Preuss
30.03.2020

Die weit gespreizte Hand als Zeichen des kommunistischen Klassenkampfes; Hitler beim Deklamieren, während der Röntgenblick eine Wirbelsäule aus Goldmünzen seiner Förderer freilegt; ein weißer und ein schwarzer Arm mit geballten Fäusten, hochgereckte Zeichen der internationalen Waffenbruderschaft; deutsche Richter als „Hakenkreuzottern“; die zähnefletschende Hyäne über den Leichen des Schlachtfelds, dekoriert mit Orden und Zylinder; Menschen beim gierigen Klettern im Dollarzeichen – ach, man könnte noch so viele dieser Fotomontagen nennen, die einem nicht mehr aus dem Sinn gehen. John Heartfield hat die politischen Kämpfe der Zwanziger- und Dreißigerjahre so anschaulich gemacht wie kein zweiter Künstler der Moderne.

Er war ein unerbittlicher Beobachter, vor allem aber war er ein Kämpfer. Das Foto war seine Waffe, die Schere, der Retuschenpinsel und die Reprokamera dienten ihm als höchst wirksame Instrumente, um seine Botschaften so scharf wie Rasierklingen und ätzend wie Salzsäure auf den Punkt zu bringen. Nie verfehlten sie ihre Wirkung. Heartfield bezog sein Leben lang Stellung, war KPD-Mitglied der ersten Stunde, schuf Hunderte von Beiträgen für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitschrift (AIZ), führte die Anti-Hitler-Kunst unermüdlich im Exil in Prag und London weiter, ging aus dem liebgewonnenen England aus Pflichtgefühl in die DDR, um dort ein besseres Deutschland mit aufzubauen. Letzteres dankte ihm der Arbeiter- und Bauernstaat zunächst einmal mit Partei-Ausgrenzung und Schikanen, bevor die Kulturfunktionäre (erst auf Betreiben Brechts) ihn und seine Frau Gertrud rehabilitierten, ehrten und finanziell absicherten.

Mit seinen Collagen und Montagen gegen Krieg, Kapitalismus und faschistische Diktatoren hat sich John Heartfield eingebrannt ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Epoche: dem Zeitalter, in dem der „Weltbürgerkrieg“ tobte. Und es ist keine Übertreibung, er war einer der innovativsten und einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Jeder, der sich in irgendeiner Weise mit den Möglichkeiten von Collage und Montage beschäftigt, landet irgendwann unweigerlich auch bei Heartfield. Überhaupt ist er für alle Künstler, die sich als kritisch und politisch engagiert begreifen, nach wie vor ein wichtiger Referenzpunkt.

Wäre die Welt gerade nicht von einem Virus lahmgelegt, dann könnte man jetzt in der Akademie der Künste in Berlin am Pariser Platz tief in dieses gewaltige, faszinierende Werk einsteigen. Da ich das Privileg einer Privatführung hatte, kann ich sagen, dass hier eine der wohl tollsten Ausstellungen des Jahres hinter verschlossenen Türen vor sich hin dämmert. Die Akademie besitzt den Nachlass und hat seit Heartfields Tod 1968 (der übrigens an einer schweren Virusgrippe starb) in mehreren Arbeitsphasen die mehr als 6000 Objekte erfasst, akribisch aufgearbeitet und im Herbst 2018 als Online-Katalog frei zugänglich gemacht. In diesem Zusammenhang entstand die klug konzipierte Schau, die vor allem auf die physische Präsenz der Fotomontagen in oft ganz unterschiedlichen Stadien setzt. Denn Heartfield schnitt die benutzten Fotos nicht nur zurecht und kombinierte sie, dann wären es gängige Collagen. Er fotografierte die Kompositionen, retuschierte sie, fotografierte sie erneut, um das Ergebnis abermals zu manipulieren und so fort. Das Bild musste bis in die kleinste Fuge, Schattierung oder pudrige Wirkung perfekt sein. So erhob er die Fotomontage zum komplexen, anspruchsvollen, aber eben auch höchst wirksamen Bildmedium. Auf diese Weise gestaltete er auch die berühmten Buchumschläge des Malik-Verlags, den sein Bruder Wieland Herzfelde bis ins Prager Exil führte. 

Zum Glück hat die Akademie zur Ausstellung eine aufwendige, abwechslungsreiche Online-Präsentation mit vielen Ton- und Filmelemente produziert. Damit kann man viel Zeit verbringen, viel lernen und sich gleichzeitig an einer ausgefeilten Multimediagestaltung erfreuen. Hinzu kommen die Webseite des Nachlasses und die wenigstens teilweise digital verfügbare, eigens für die Ausstellung geschaffene Video-Installation von Marcel Odenbach. Er hat historische Filmdokumente der Zwanziger, aber auch rare Aufnahmen Heartfields aus der DDR-Zeit mit heutigen Eindrücken aus seinem Sommerhaus in der Märkischen Schweiz zu einer dichten Montage bewegter Bilder verwebt. Privat und politisch zugleich. Odenbach, der in seinem Video-Schaffen immer viel mit dem Prinzip der Montage gearbeitet hat, erzählt im Gespräch, wie wichtig im Heartfield gerade als junger Künstler war. Mit diesen drei Angeboten kommt man dem Schaffen und der Wirkung Heartfields von der Dada-Zeit bis zu seinen Buch- und Theaterprojekten in der DDR auch ohne Ausstellung ziemlich nahe.

Service

AUSSTELLUNG

„John Heartfield – Foto plus Dynamit“

Akademie der Künste, Berlin, Pariser Platz 4, bis 23. August

www.adk.de

 

Abbildung ganz oben

John Heartfield, „Krieg und Leichen – Die letzte Hoffnung der Reichen“, Doppelseite aus der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (Ausschnitt), 1932 (Foto: The Heartfield community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Akademie der Künste, Berlin)

John Heartfield: Das Berliner Adressbuch 1950-1968

Von seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil 1950 bis zu seinem Tod 1968 nutzte John Heartfield ein Adressbuch, das die Akademie der Künste nun in kommentierter Form im Quintus Verlag herausgebracht hat. Die Akademie ist auch der erste Eintrag, es folgen Bertolt Brecht, Ulrike Meinhof, und viele weitere naheliegende und überraschende Kontakte bis hin zum „Zwinger für Cockerspaniel.“ Ein Leben in Adressen. 

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