Ausstellungen

Berlin, gezeichnet: Flanieren auf Papier

Viele Künstler hielten ihr Leben in Berlin mit dem Zeichenstift fest. Die Berlinische Galerie hat in in ihrer umfangreichen Sammlung herausragende Papierarbeiten ab 1945, die im Sommer in einer Ausstellung gezeigt werden sollen

Von Tim Ackermann
23.03.2020

Städte sind komplizierte Wesen. Und eine brodelnde Metropole wie Berlin scheint auf den ersten Blick fast unbegreiflich. Wie lässt sich bloß Ordnung herstellen, wie lenkt man das Gewimmel in eine bedeutsame Form? Künstler haben auf diese Frage immer wieder Antworten gefunden. Dabei nahmen sie häufig zuerst den Zeichenstift zur Hand, um ihre Eindrücke vom Stadtleben zu skizzieren.

Die Berlinische Galerie bewahrt zahlreiche Papierarbeiten ab dem Jahr 1945, die das Bild der Stadt zum Thema haben. Da das Museum seine Sammlung digitalisiert hat, lassen sich diese Werke online bewundern. In diesen Tagen, in denen das Flanieren nur eingeschränkt möglich ist, kann man sich so immerhin vor Augen führen, wie Künstler zu anderen Zeiten Berlin verstanden haben. All das im Vorgriff auf die Ausstellung „Gezeichnete Stadt“, die ab Mitte Juni in der Berlinischen Galerie stattfinden soll und nicht nur Zeichnungen umfasst, sondern auch Drucke, Fotogravüren und, für das Stadtthema extrem gut geeignet: Collagen.

In seiner Chronologie beginnt das Bilderpanorama verhalten, mit Werner Heldts leisen Tuschezeichnungen „Häuserstillleben“ und „Trümmer“. Beachtenswert, wie die Gebäude auf dem Grund zu schwanken scheinen, als ritten sie auf Wellen. Ein Sinnbild für das Unsicherheitsgefühl in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Zuversichtlicher wirkt eineinhalb Jahrzehnte später Thomas Bayrle, der in „Kennedy in Berlin“ (1964) so temporeich vom Wirtschaftswunder-Berlin erzählt wie ein Billy-Wilder-Film.

Mit tausenden schnellen Kringeln skizziert Bayrle rund um das Porträt des prominenten US-Präsidenten die Köpfe der begeisterten Publikumsmassen. Dem poppigen Kolorit seiner Zeichnung begegnet man später wieder in Tal Rs Werkzyklus „Babylonia“ von 2015/2016, der die Ladenfronten von Sexshops wiedergibt und sich somit auf den sündhaft-zwielichtigen Aspekt der Stadt konzentriert.

Für die Künstler der Mauerjahre ist Berlin eine Stadt der Leere: Norbert Behrend blickt in „Straßenende“ (1977) von Westen aus, und sein Ausguck über den Grenzstreifen wirkt genauso verwaist, verschlafen und in der Vergangenheit erstarrt, wie auf der Ostseite die „Hinterhöfe Sredzkistraße“, die Monika Meiser 1983 in Prenzlauer Berg sieht.

Den Brandmauern, die für diese Stadt so typisch sind, setzt wiederum in West-Berlin Günter Horn mit seiner Lithografie „Schwarzer Giebel“ (1980) ein bildliches Denkmal, das in seiner Reduktion und Offenheit durchaus mit den semiabstrakten Formen eines Ellsworth Kelly konkurrieren kann. Auch dieses Blatt ist von exquisiter Stille.

Und dann gibt es einen Künstler, dem kann es nicht voll genug sein: Franz Ackermann bündelt 2016 in seiner Collage „wall/mall (brother)“ alle möglichen Facetten Berlins, wenn er Vielgestaltigkeit der Stadt in bunten Farben explodieren lässt.

 

Service

Ausstellung

„Gezeichnete Stadt. Arbeiten auf Papier 1945 bis heute“, Berlinische Galerie, voraussichtlich von 19. Juni bis 5. Oktober

Werner Heldt, „Trümmer“, 1947  (Foto: Berlinische Galerie / VG Bild-Kunst, Bonn, 2020)

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