In der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel eröffnen Edward Hoppers Landschaftsbilder melancholische Seelenräume des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung wurde nun bis Ende September verlängert
Von
11.03.2020
Edward Hopper, geboren 1882 in Nyack bei New York, war ein an Freilichtmalerei geschulter Courbet-Bewunderer, ein leidenschaftlicher Landschaftsdarsteller, ein Goethe-Kenner, der „Wandrers Nachtlied“ auswendig hersagen konnte: „Über allen Gipfeln / Ist Ruh’, / In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch; / Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur, balde / Ruhest du auch.“ Es gibt Fotografien, die Hopper mit seiner Staffelei in der amerikanischen Landschaft zeigen. Während die Kubisten und die Expressionisten die Welt zerschießen, malt er sie in realistischer Manier, legt in jedes Motiv einen Hauch von Melancholie, mischt dieses Gefühl wie dämpfendes Weiß unter seine Farben. Häuser, Hügel, Straßen, Wälder, Leuchttürme – und die Vögelein schweigen im Walde. Darin liegt ein altmodischer Gestus, der so gar nicht zum Moderneschub von Hoppers Heimatland passen mag, in dem ja gerade das 20. Jahrhundert gebaut wurde.
Denkt man ein bisschen nach, fällt auf, dass Goethes Gedicht keine antikisierte Hymne, kein gelehrtes Wortspiel ist, sondern ein vormoderner Verdichtungsgesang. „Warte nur, balde / Ruhest du auch“, das konnte um 1800, als es entstand, aber auch um 1900 mitten ins Herz treffen. So karg und direkt wie Goethes Wanderer im alten Europa zum Himmel gesungen hat, so karg und direkt malte Hopper bis zu seinem Tode 1967 die neue Welt der Vereinigten Staaten. Wirft man, wie es jetzt die 37 Gemälde und 30 Papierarbeiten umfassende Ausstellung in der Fondation Beyeler tut, einen Blick auf die Landschaft bei Hopper, dann schaut man automatisch auch in sein Inneres und von dort wieder in die Welt hinaus. Durch seine melancholischen Augen erblickt man Industrie-Amerikaner, leere Häuser, Telegrafenmasten ohne Verkabelung, Wege ins Nirgendwo.
Deutlich setzt sich der Maler nicht auf die Fährte der Natur, sondern sucht, wie fast alle Ästheten der Nachmoderne, das Persönliche. Er will das Bild einfangen, das ihm gehört. Als er gefragt wird, um was es in seinen Gemälden geht, sagt er: „I’m after me“, ich suche mich selbst. Die Fondation Beyeler zeigt diese Suche in acht entspannt kuratierten Räumen. So kann man dieses formidable Zehntel des Hopper’schen Œuvres in Ruhe erkunden, darunter seine berühmte Tankstelle oder die beiden Gemälde, die Barack Obama einst ins Oval Office geholt hat. Es gibt sogar eine Postkarte zu kaufen, die den früheren Präsidenten zeigt, wie er auf Hoppers Gemälden „Cobb’s Barns, South Truro“ und „Burly Cobb’s House, South Truro“ (beide 1930–1933) die roten, in grünen Hügeln gelegenen Farmhäuser betrachtet.
Hopper ist ein filmisch geschulter und den Film beeinflussender Maler, der seine Mitmenschen in den Städten und Vorstädten kühl, jedoch nicht ohne Zärtlichkeit beobachtet. Er ist ein nächtlicher Diner-Gast und Tankstellenverherrlicher, der von 1927 an mit eigenem Automobil auf Motivsuche geht. Dabei führt er nicht den klassisch landschaftsmalerischen Stil etwa der Hudson River School fort, sondern perfektioniert eine Ästhetik der ungewöhnlichen und kantigen Motive, der gewagten Ausschnitte und Perspektiven, die seltener durch die Hauptwerke des 19. Jahrhunderts, sondern stark durch zahlreiche radikal subjektive Skizzen aus dieser Zeit überliefert ist. Nur 366 Ölgemälde hat Hopper hinterlassen, weil er unendlich lange brauchte, um auf seinen zahllosen Überlandfahrten Sujets zu finden.
Hoppers Bilder wirken nüchtern, vernünftig fast. Doch eigentlich sind es surreale Fabeln, kafkaeske Symbolbilder. Besonders gut kann man das an dem kleinen, auf Holz gemalten „Stairway“ (1949) sehen. Dominiert wird es von einer Treppe und einer Durchsicht – erinnert das nicht an die Kunst des 19. Jahrhunderts? Nur ein bisschen, denn in Hoppers Fassung wirken die alten Elemente neu. Er bildet einen Raum ab, der sein Elternhaus in Nyack anklingen lässt. Den Kindheitsraum freilich legt er sich fürs Gemälde zurecht. Er setzt Treppe und Tür auf eine Achse, lässt den Betrachterblick dort entlangfahren, stellt ihm dann einen dunklen Wald vor die Aussicht. Fast meint man, „Stairway“ sei eine Studie für eine Gruselfilmeinstellung – der Thriller-König Alfred Hitchcock war nicht der einzige Regisseur, der durch Hopper inspiriert wurde. In seinem stillen Gemälde steckt ein Geheimnis, etwas Unheimliches gar. Als sähen wir dieses Bild durch die Augen eines Kindes, das nach der Mutter gerufen hat, statt einer Antwort jedoch eine fremde Stimme aus dem Wald hört: „Warte nur, balde / Ruhest du auch.“ Zu viel Interpretation? Vielleicht. Doch das düstere Waldmotiv kommt bei Hopper oft vor, auch auf „Gas“ von 1940. Dieses Tankstellengemälde gehört zu seinen bekanntesten Werken, da es unser Bild der Vereinigten Staaten mitgeprägt hat. Der strahlende Außenposten der Zivilisation am Rande der wilderness im cinemaskopischen Format, das wirkt sehr amerikanisch. Wahrscheinlich kennen wir diesen Augenblick, in dem elektrisches Licht als ein Wunder erscheint, gleichzeitig Technikleistung und Magie ist, nur noch aus der Kunst. So wie den dunklen Wald, den das Licht kaum erreicht.
Zur Ausstellung hat Wim Wenders den 3-D-Kurzfilm „Two or Three Things I Know about Edward Hopper“ gedreht und dafür verschiedene Bilder wie das Tankstellenmotiv aufwendig rekonstruiert. Detailscharf bis in den entferntesten Hintergrund, springt das 3-D-Kino dem Betrachter hier einmal nicht entgegen, sondern es zieht ihn tief in die Story hinein. Der Regisseur erzeugt eine bildliche Ruhe, die der von Hopper ähnelt. Meditativ versinkt man im Film, der Orte und Blickachsen des von Wenders seit Langem bewunderten Malers aufsucht. Für Hoppers Malerei bringt das wenig, mit filmischen Mitteln kommt man ihr letztlich nicht nahe. Man kann ihr nur etwas hinzufügen, was sich, steht man vor den Gemälden, in Wohlgefallen auflöst. Augen, Gefühle und Gedanken übernehmen die Bewegung wieder, die zuvor durch die Kamera bestimmt wurde. Könnte es nicht sein, dass der Tankwart, da kein Kunde in Sicht ist, hinter der Zapfsäule ein Gedicht liest? Vielleicht eines von Robert Frost, den Hopper ebenso verehrte wie Goethe: „Der Wald ist lieblich, dunkel, tief, / doch ich muss tun, was ich versprach, / und Meilen gehen, bevor ich schlaf, / und Meilen gehen, bevor ich schlaf.“