Bei Grisebach in München sind neue Arbeiten von Maria Thurn und Taxis zu sehen. Die Ausstellung „Traum eines Wissbegierigen“ setzt ihre Bilder mit Skulpturen des belgischen Künstlers Jan Fabre in Dialog. Dida Tait führt durch die Schau
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22.04.2020
In seiner Münchner Niederlassung in der Türkenstraße 104 zeigt Grisebach in Kooperation mit der Galerie Ebensperger Rhomberg neue Arbeiten von Maria Thurn und Taxis. Die Ausstellung „Traum eines Wissbegierigen“ bringt die Bilder der in London lebenden Künstlerin mit Skulpturen des belgischen Künstlers Jan Fabre zusammen. Hier äußert sich das Amalgam aus Figur, Abstraktem und dem Gedanken als Collagen und Aquarellen, dort als Plastiken aus Carrara-Marmor.
Bei einem Besuch im Atelier von Maria Thurn und Taxis im Vorfeld der Ausstellung kommen wir auf Baudelaire zu sprechen, insbesondere auf „Le Rêve d’un Curieux“ aus dem 1857 erschienenen Band ‚Les Fleurs du Mal‘. Das Gedicht verquickt Verspieltheit mit einem dystopischen Gefühl. Auf den ersten Blick halte ich die feinen, surrealistischen Assemblagen ähnelnden Papierarbeiten für Studien. Bei näherem Hinsehen entfalten die Farbfelder und vielschichtigen Perspektiven jedoch eine ganz eigene Kraft. Thurn und Taxis spielt mit der Diskrepanz zwischen unserer Erwartungshaltung und der Realität – eine Dualität, die sich durch ihr gesamtes künstlerisches Schaffen zieht. Obschon es sich eindeutig um zweidimensionale Malereien und Collagen handelt, verfolgt die Künstlerin einen plastischen Ansatz.
Die kleinen Papierarbeiten haben eine solche Anziehungskraft, dass sie die Betrachtenden unmittelbar dazu bringen, sich auf ihre vertrauten und unvertrauten Eigenschaften sowie ihre ungenierte Gegenüberstellung von Schönheit, satten, tintigen Farbflecken und grotesken Quellenmaterialien einzulassen. Beim Verfassen dieses Textes blicke ich auf das Auge eines Zyklopen, der dem Betrachtenden aus der kleinen, aber äußerst wirkungsvollen Arbeit „Truth Seeker Study“ (2019) entgegenblickt. Diese lässt zugleich an Ovids Metamorphosen, den Cadavre Exquis, oder ein äußerst wissenschaftliches Schlangenlexikon denken. Das Auge des Zyklopen lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den geschmeidigen, sich windenden Reptilienkörper, bevor unser Blick wieder auf das Auge fällt, das unsere Aufmerksamkeit ursprünglich angezogen hat. Unterdessen schlagen einen die Muster und verführerischen Bewegungen der Schlangen, die mit dem einen, stets wachsamen Auge harmonisch koexistieren und mal übereinander, dann wieder Seite an Seite nebeneinander gleiten, in ihren Bann.
Trotz ihrer höchst unterschiedlichen ‚Sujets‘ scheinen diese Assemblagen mehr aufeinander Bezug zu nehmen als auf die ‚Realität‘. Als Inspirationsquellen nennt Thurn und Taxis mir gegenüber die künstliche Intelligenz sowie das Vermögen von Computern und Technologien, neue Wege und Bildsprachen zu generieren. Die Surrealist*innen leisteten durch die Einführung der Techniken des automatischen Zeichnens und Schreibens auf diesem Gebiet Pionierarbeit, und ich bin überzeugt, dass auch Thurn und Taxis das Visuelle auf bisher ungekannte Weise einsetzt, um mit einer ‚anderen Welt‘ zu kommunizieren. […] Die Maske ist ein zentrales Motiv im künstlerischen Schaffen von Thurn und Taxis. Darauf angesprochen, erwähnt sie die Vorstellung, etwas zu repräsentieren, aber etwas anderes zu sein – eine Strategie, aus der die Möglichkeit der Täuschung oder Maskerade resultiert. […]
Die Methode des Cadavre Exquis‘, dem Kombinations- und Lieblingsspiel der Surrealisten, fasziniert mich seit meinem Besuch der Ausstellung „The Return of the Cadavre Exquis” im Drawing Center, New York (1996). Thurn und Taxis gelingt es, sich den unmittelbaren Zufallsmoment und die Unbefangenheit dieses ‚Gesellschaftsspiels‘ mit großer Wirksamkeit anzueignen. Die Werke A Curious Dream I + II (beide 2019) fesseln die Aufmerksamkeit der Betrachtenden allein ob ihrer Größe und der kühnen Weise, mit der die Künstlerin die Energie erneut mittels einer Kreatur bündelt, sie verwegen mit unbemalten Flächen umgibt und so das dreidimensionale Element des Totems hervorhebt. […]
Die Werke verstehen sich als Totems und sind aufgeladen mit einem Gefühl der Mystik und Kraft, das jenseitig und schützend wirkt. […] Die hochformatigen Werke beruhen auf motivbasierten Gegenüberstellungen, in denen die Blickrichtung nicht immer frontal ausgerichtet ist. Dies verbindet sie sowohl mit den Totems der Native Americans, als auch mit dem kubistischen Konzept multipler Perspektiven.
„Maria Thurn und Taxis X Jan Fabre. Traum eines Wissbegierigen“
Grisebach, München
bis 29. Mai
Anmeldung per Mail an moritz.heydte@grisebach.com oder telefonisch unter 089 227632