Ausstellungen

John Akomfrah: Die Farbe der Trauer

Von der Biennale in die niederrheinische Provinz: Im jüngst wiedereröffneten Museum Kurhaus Kleve sind John Akomfrahs faszinierende Bilderwelten „Purple“ nun erstmals in Deutschland zu sehen

Von Simone Sondermann
15.05.2020

Harald Kunde ist die Freude anzusehen. Dass er es geschafft hat, John Akomfrah in die niederrheinische Provinz zu locken, erfüllt den Direktor des Museums Kurhaus Kleve sichtlich mit Stolz. Zum Glück hatte er Akomfrah bereits vor der letztjährigen Venedig-Biennale für sein Haus gewinnen können. Denn seit dort im von der Kritik gefeierten Ghana-Pavillon die Arbeit „The Elephant in the Room – Four Nocturnes“ zu sehen war, ist der britisch-ghanaische Künstler und Filmemacher noch gefragter als zuvor.

Ein stummer Beobachter

Die Videoinstallation auf der Biennale war der letzte Teil einer Trilogie, deren Auftakt, „Purple“ von 2017, nun in Kleve und damit erstmals in Deutschland präsentiert wird. Eröffnung sollte schon im März, doch dann kam die Coronakrise und nötigte zur Zwangspause. Seit dem 6. Mai ist das Museum Kurhaus nun wiedereröffnet und mit ihm endlich auch die Ausstellung „Purple“.

Für diese Arbeit montierte Akomfrah seine Bewegtbilder dabei auf sechs parallel laufenden Screens und schuf, unterlegt mit einer ebenso melancholischen wie eindringlichen Tonspur, eine einstündige Meditation über den Zustand unseres Planeten. Das Filmmaterial sind zum einen historische Archivbilder und umspannt einen Zeitraum von den 1940er-Jahren bis heute: Schwarz-Weiß-Sequenzen von der Geburt eines Kindes im Krankenhaus, tanzende Menschen auf der Straße, Laboraufnahmen, die wissenschaftliche Experimente zeigen und den Fortschritt feiern.

Zum anderen drehten John Akomfrah und sein Team in zehn Ländern rund um den Globus, etwa in Grönland, Alaska und auf den Marquesas-Inseln in Französisch-Polynesien. Abgelegene Orte am Rande des Weltgeschehens, wo sich die Folgen des globalen Klimawandels am schnellsten und gravierendsten zeigen. Immer wieder sieht man zudem eine einsame Figur in Kapuzenjacke in der Landschaft, die als stummer Zeuge des Geschehens in die Ferne blickt.

Die Welt im oszillierenden Zwischenzustand

Die Idee zu diesem Projekt sei aus Gefühlen der Frustration und Unzufriedenheit entstanden. Aus dem Bewusstsein von Endlichkeit und einer Grundstimmung des game over. Zudem habe er sich für die Geschichte der chemischen Industrie interessiert. Endlichkeit sei es auch, was ihn schon immer an Archivmaterial fasziniert habe. Die Paradoxie, dass es Menschen zeige, die verstorben sind, während die Filme sie zugleich lebendig halten, sei für ihn ein Kontrapunkt gegen die allgemeine Amnesie, die uns angesichts des Todes umgebe.
Weltweit mehren sich in jüngster Zeit prominente Stimmen, die den Kampf gegen den Klimawandel für verloren halten, so etwa aktuell der Schriftsteller Jonathan Franzen. Es gibt Grund zur Trauer – ein Gefühl, das einen auch beim Betrachten von John Akomfrahs Bilderwelt beschleicht. Der vielschichtige Titel „Purple“ ist dem Künstler zufolge eine Reverenz an den Popsänger Prince und dessen Welthit „Purple Rain“. Die Farbe drücke für ihn aber auch einen „oszillierenden Zwischenzustand aus“ durch den Übergang von Rot zu Blau.

Zwischen Caspar David Friedrich und Andrej Tarkowski

John Akomfrah wurde 1957 in der ghanaischen Hauptstadt Accra geboren, die damals noch zur britischen Kronkolonie Goldküste gehörte. Seine Eltern waren politische Aktivisten gegen das Kolonialregime. Aufgewachsen in West-London, hat sich Akomfrah mit seinen Filmen, TV-Produktionen und Kunstprojekten schon lange als eine bedeutende afrobritische Stimme etabliert. Seine Werke sind reich an Anspielungen der europäischen Malereitradition, etwa auf Caspar David Friedrich. Zu seinen filmischen Vorbildern zählt vor allem das ebenso poetische wie schwermütige Werk Andrej Tarkowskis. Akomfrah ist ein kultureller Weltbürger und seine Themen lassen Grenzen weit hinter sich. So wie auch die Probleme unserer Zeit globale sind.

Service

AUSSTELLUNG

John Akomfrah, „Purple“, Museum Kurhaus Kleve, bis 6. September

DIESER BEITRAG ERSCHIEN IN

Weltkunst Nr. 169/2020

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