Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt widmet Frank Walter eine umfassende Retrospektive. Es ist die erste Museumsausstellung des karibischen Malers überhaupt
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16.07.2020
Insider kennen seine Kunst aus dem Pavillon von Antigua und Barbuda der Venedig-Biennale 2017 oder von der Armory Show 2014, doch nie zuvor wurde eines seiner Werke in einem Museum präsentiert. Jetzt hat die Direktorin Susanne Pfeffer ihr ganzes großes Haus, das Museum für Moderne Kunst, leer geräumt, um Frank Walter zu würdigen: Vor allem seine Malerei, aber auch Skulpturen und Fotografien, Schriftstücke und Spielzeuge. Es ist ein Kosmos, in dem abstrakte Kompositionen, Modelle von Molekülen und astrologischen Phänomenen wie auch Porträts, Stillleben und Landschaften ihre starke Wirkung entfalten. „Leonardo da Vinci von Antigua“ hat Hans Ulrich Obrist ihn genannt.
Viele Arbeiten haben Kratzer oder kleine Farbverluste, es gibt Gedichte auf zerrissenem Papier und Fotografien mit Schimmelspuren – womit der Eindruck verstärkt ist, dass es sich bei diesem Œuvre um einen Fund handelt, der mit Glück dem Vergessen entrissen wurde. Die nüchterne Präsentation der oft kaum postkartengroßen Bilder mit viel Raum zur Konzentration vermittelt ein Gefühl von Einsamkeit und lässt dadurch ein Element der ungewöhnlichen Künstlerbiografie anklingen. Daneben stehen Werke von Kader Attia, Rosemarie Trockel und anderen Zeitgenossen im Dialog mit dem Künstler. Marcel Broodthaers’ Installation mit Palmen (1974) spielt auf Entwurzelung und Kolonialismus an. Howardena Pindells Video „Free, White and 21“ (1980) beschäftigt sich mit Identität und Rassismus – Themen, die auch Frank Walters Geschichte von Anfang an bestimmt haben.
Geboren 1926 auf der Karibikinsel Antigua als Nachfahre von Sklaven und Plantagenbesitzern, muss seine Ahnenreihe ihn gequält haben. Er bezeichnete sich selbst als „mixed race“. Auf manchen Porträts hat er sich als weißer Mann dargestellt, auf anderen als Schwarzer. Weitläufige Stammbäume konstruieren seine Herkunft von europäischen Königshäusern, auch erfand er Wappen und Adelstitel für sich, den „7th Prince of the West Indies, Lord of Follies, and the Ding-a-Ding Nook“. In der Schulzeit gehörte Geschichte zu Frank Walters liebsten Schulfächern, es ist überliefert, dass er als Kind gerne allein in einer Baumkrone saß und lateinische Gedichte schrieb. Mit 22 Jahren war er der erste Schwarze in einer Führungsposition in der Zuckerindustrie von Antigua.
Doch in den Fünfzigerjahren zog er nach Europa, arbeitete in England als Knopffärber und in Deutschland im Bergbau, musste Rassismus, Armut und Hunger erleben. Seine erste abstrakte Malerei entstand nach einem Nervenzusammenbruch Mitte der Fünfzigerjahre. 1967 kehrte er nach Antigua zurück und stellte sich kurz darauf zur Wahl zum Premierminister von Antigua und Barbuda (aber verlor gegen seinen Cousin). Später führte er einen Eisenwarenladen und ein Fotostudio, bis er sich schließlich außerhalb der Stadt Liberta ein Haus und Atelier baute, wo er zurückgezogen bis zu seinem Tod 2009 lebte – mit dem Traum, seine Kunst einmal in einem europäischen Museum zu zeigen, wie zahlreiche Briefwechsel belegen. Er hat rund 5000 Gemälde, 600 Holzskulpturen, 50 000 Seiten Prosa und 450 Stunden Tonbandaufzeichnungen hinterlassen. In Frankfurt ist sein Traum nun wahr geworden.
„Frank Walter. Eine Retrospektive“, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt, bis 15. November