Ausstellungen

Max Klinger: Monumental und filigran

Die Leipziger Jubiläumsausstellung zu Max Klinger vertieft sich bis Mitte August in einzelne Etappen seines Schaffens und erzählt von seiner Freundschaft zu Rodin

Von Matthias Ehlert
25.07.2020

Erst 13 Jahre ist die letzte große Max-Klinger-Schau in Leipzig her. Unter dem Titel »Eine Liebe – Max Klinger und die Folgen« zog das Museum für bildende Künste damals alle Register, um den großen Sohn der Stadt wieder auf den ihm gebührenden Platz in der Kunstgeschichte zu hieven. Sein 150. Geburtstag bot den willkommenen Anlass, ihn als vielseitige Inspirationsquelle für die Moderne zu präsentieren, als Vorbild für so unterschiedliche Künstler wie Edvard Munch, Giorgio de Chirico, Max Ernst oder Käthe Kollwitz. Nun jährt sich Klingers 100. Todestag, und wieder rührt man in Leipzig die Werbetrommel. Doch gibt es wirklich etwas Neues zu erzählen?

Eindeutig bejahen kann man das nicht. Dass Klinger zu Lebzeiten ein Superstar war, auf Augenhöhe mit Gustav Klimt in Wien oder Auguste Rodin in Paris, ist bekannt. Dass seine Form der Kunst, der Symbolismus, zum Nebenast am Baum des Fortschritts wurde, weiß man auch. Und dass man ihn deshalb immer wieder in Erinnerung rufen muss. Interessant wäre es vielleicht einmal, seine Sicht auf die Frauen zu untersuchen. Er war ein großer Erotiker, der auch vor sexuellen Gewaltfantasien auf seinen Bildern nicht zurückschreckte. Zugleich war seine langjährige Partnerin, die Schriftstellerin Elsa Asenijeff, eine engagierte Frauenrechtlerin. In Leipzig entschied man sich jedoch für eine eher lose verbundene Jubiläumsschau. Fünf Kuratoren erhielten die Möglichkeit, bestimmte Aspekte seines Schaffens in einzelnen Ausstellungskapiteln wie »Klinger und die Wiener Secession«, »Klinger in Rom« oder »Klinger und Kollwitz« auszubreiten.

Zusammengehalten wird diese Schau durch den Klinger-Saal im ersten Stock des Museums, der die Highlights der hauseigenen Sammlung präsentiert. Leipzig hatte erst spät, auf der Höhe seines Ruhms, begonnen, Werke des Künstlers zu sammeln, dann aber richtig zugelangt. Glänzendes Beispiel dafür ist die früher im Gewandhaus beheimatete Beethoven-Plastik. Das herrlich in Marmor ausgeführte Musikgenie kauert nackt und mit geballter Faust auf einem mit vier Musengesichtern geschmückten Götterthron, zu Füßen einen Prometheus-Adler. Die mächtige Skulptur wurde 1902 erstmals in einem eigenen Raum der Wiener Secession gezeigt zusammen mit dem berühmten Figuren-Fries von Gustav Klimt, der nun in Leipzig virtuell ebenfalls zu sehen ist. Damals war die Darstellung des Musikheros Beethoven als einsamer, mit sich ringender Mensch umstritten, von den einen umjubelt, von anderen als Boxer-Büste verspottet. Flankiert wird Beethoven von den Monumentalgemälden »Die Kreuzigung Christi« und »Christus im Olymp«, die damals auch nicht nur Begeisterungsstürme auslösten. Das Deutsche Volksblatt meckerte im Januar 1899: »Christus im Olymp ist nichts Anderes als eine Effekthascherei ärgster Sorte, eine Profanierung der hehren Gestalt des Schöpfers.« Auch im Klinger-Saal vertreten ist die wunderschöne »Blaue Stunde«, mit 60 000 Mark einer der teuersten Ankäufe des Museums seinerzeit, und die hyperrealistisch anmutende, farbig ausgeführte Kassandra-Skulptur mit ihren undurchdringlichen Bernsteinaugen.

Eine tiefe Freundschaft: Klinger und Rodin

Im Raum gegenüber wartet das zweite, nicht ganz so offenkundig auftrumpfende Highlight der Ausstellung. Der Kurator Jan Nicolaisen hat hier die Beziehung von Max Klinger zu Paris, insbesondere zu seinem Kollegen Auguste Rodin, genauer ausgeleuchtet. Klinger, Sohn eines vermögenden Seifenfabrikanten, hatte immer wieder Zeit in Paris verbracht und war 1883 für einige Jahre gänzlich dort hingezogen. Seine Eltern finanzierten ihm ein geräumiges Atelier, der aufstrebende junge Künstler studierte im Louvre die Werke von Goya und Daumier. Rodin lernte er jedoch erst im Rahmen der Weltausstellung 1900 persönlich kennen, als er gemeinsam mit dem Sammler Felix Koenigs dessen Ausstellungspavillon in der Nähe des Eiffelturms besuchte. Klinger überzeugte Koenigs, Arbeiten von Rodin zu erwerben, und tat sich in der Folge als eifriger Vermittler zwischen deutschen Sammlern und dem französischen Bildhauer hervor. Daraus erwuchs eine persönliche Freundschaft, die ihren Ausdruck auch in der Realisierung einer großen Rodin-Ausstellung 1908 in Leipzig fand. Das war kein kleines Wagnis, hatte doch zwei Jahre zuvor eine ähnliche Ausstellung in Weimar wegen Rodins expliziter erotischer Motive zu einem Skandal und zum Abgang von Harry Graf Kessler als Direktor des Großherzoglichen Museums für Kunst und Kunstgewerbe geführt.

In Leipzig werden nun 25 der ursprünglich rund 100 Zeichnungen Rodins gezeigt, die Klinger damals ausgewählt hatte. Es sind Leihgaben aus dem Musée Rodin in Paris, die veranschaulichen, welch großen Stellenwert dieses Medium für den Bildhauer hatte. Als »Schlüssel« zu seinem Werk bezeichnete er die Zeichnungen, die ihm mehr Freiheiten als die Plastiken erlaubten. In ihnen konnte er von den klassischen Aktmodellposen abweichen und ungewöhnliche Perspektiven auf den menschlichen Körper erproben. Mit ihrer partiellen Auflösung der Figur und Umformung in Farbe, dem reizvollen Gegensatz von freiem Bleistiftstrich und getuschten Partien wirken diese Blätter, in denen Rodin zum Beispiel die weiblichen Mitglieder eines kambodschanischen Tanzensembles festhält, ungemein modern. Sie bilden eine Art Ausstellung in der Ausstellung und zeigen auch, dass Rodin deutlich entschlossener den Weg zur Abstraktion einschlug als sein Malerfreund in Leipzig.

Dass die beiden Künstler sich so gut verstanden, mag auch damit zu tun gehabt haben, dass ihre Werke um ganz ähnliche Themen­felder kreisten: künstlerisches Schöpfertum, das Verhältnis von Mann und Frau (der Kuss ist ein wiederkehrendes Motiv bei Rodin wie Klinger), die Wahrheit des nackten Körpers. Und auch in der Anwendung neuer Medien wie der Fotografie als künstlerisches Werkzeug waren sie gleichermaßen innovativ, wie die Ausstellung anhand einiger prägnanter Beispiele herausarbeitet.

Klingers Kunst, materialisiert in der Museumsarchitektur Leipzigs

Weitere vertiefende Einblicke zu Klingers Schaffen erwarten den Besucher im dritten Stock des Museums. Hier sind erstmals seine Entwürfe für die Neugestaltung des Treppenhauses des Leipziger Kunstmuseums ausgestellt. 1896 hatte die Stadt Klinger angeboten, ihr Museumsgebäude am Augustusplatz mit Wandgemälden und neuen Gestaltungselementen zu versehen. Wegen der ausufernden Kosten, unter anderem für eine riesige »Schreitende Muse« aus Marmor, kam es jedoch nie zu einer Verwirklichung dieses Raumkunstwerks. Im Unterschied zur Villa Albers in Berlin, deren Vestibül Klinger 1884 in ein farbleuchtendes Gesamtkunstwerk verwandelt hatte. Leider existierte es nur wenige Monate, da kurz darauf Schwamm in der Villa festgestellt wurde. Die beweglichen Teile der Ausstattung blieben jedoch erhalten, in Leipzig werden etwa die bemalten Türpaneele gezeigt.

Ein Erlebnis für sich ist die Hängung von Klingers letztem Grafikzyklus »Zelt« aus dem Jahr 1916, einer überbordenden Märchenfantasie mit leicht grausamen Zügen. Eine junge Frau gerät auf eine Odyssee durch verschiedene Weltgegenden, dabei trifft sie auf Unholde, Fabelwesen oder Zauberer, die ihr oft nichts Gutes wollen. Die Blätter, allesamt Hochformate, bilden eine dichte Reihe und wecken so Assoziationen zum Film oder zur Graphic Novel. Klinger präsentiert sich hier noch einmal als der große Meister der Radierung – der Technik, mit der seine Erfolgsgeschichte Ende der 1870er-Jahre begann. Sein Einfluss auf die nachfolgende Generation war dabei immens, wie ein Kabinett mit Arbeiten von Käthe Kollwitz anschaulich vorführt. Für Kollwitz waren Klingers Radierzyklen die vielleicht wichtigste Inspiration, sie schwärmte regelrecht von ihm: »Klinger ist zu umfassend, genial und beherrschend, um nicht die Jugend immer von Neuem zu fesseln.« Mal sehen, ob das in Leipzig erneut gelingt.

Service

AUSSTELLUNG

»Klinger 2020«, Museum der bildenden Künste Leipzig, bis 16. August

DIESER BEITRAG ERSCHIEN IN

Weltkunst Nr. 173 / 2020

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