Ausstellungen

Frankfurts fantastische Tierwesen

Meet Asian Art: In der Asiatischen Sammlung des Museums Angewandte Kunst in Frankfurt können Besucher noch bis 30. August in die chinesische Kultur- und Geistesgeschichte eintauchen und sich von mythischen Tierwesen verzaubern lassen. Doch die Herkunft mancher Werke wirft Fragen auf

Von Peter Dittmar
02.08.2020

Ein schmaler Gang, rechts und links jeweils fünf kleine Vitrinen. Am Ende vier chinesische Stühle mit Altersspuren und bescheidener Alterswürde. Deshalb darf man sie nutzen, um in den Katalogen zu blättern, die davor auf einem niedrigen Tisch liegen. „Meet Asian Art“ nennt sich dieses Nebengelass im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main. Kontinuierlich soll hier gezeigt werden, was das Haus an Kunstwerken aus Fernost besitzt. Es ist eine Sammlung von mehr als tausend Objekten. Vorwiegend aus China, Japan und Korea. Aus archaischer Zeit stammen die ältesten Stücke, von der Wende zum 20. Jahrhundert die jüngsten. Diese dreieinhalb Jahrtausende umspannt auch die Auswahl von dreißig Objekten, die „Von Drachen, Einhörnern und Mondhasen“, von „Tierischen und mythischen Wesen im Alten China“ erzählen.

Das Rätsel der Taotie-Maske

Das beginnt mit einem Ritualgefäß aus der Shang-Zeit, den fünf Jahrhunderten vor dem Jahr 1000 v. Chr.  Darauf erscheint bereits die eigenartige Taotie-Maske mit den großen rundovalen Augen, die breite Wülste überwölben – und über deren Deutung und Bedeutung die Wissenschaftler unterschiedlichsten Coleurs seit Jahr und Tag streiten. Auch – der Ausstellungstitel verrät es – der Mondhase hat hier seinen Auftritt. Der Überlieferung nach stampft er auf dem Mond (gewissermaßen als Präfiguration des „Mannes im Mond“) in einem Mörser alle möglichen Kräuter zum Elixier der Unsterblichkeit – das allerdings, trotz Mondlandung, den Erdbewohnern bislang vorenthalten blieb. Und natürlich fehlt in dieser Auswahl auch das Chilin nicht, jenes sagenhafte Wesen, das mit Drache, Phönix und Schildkröte zu den „Vier Wundertieren“ gehört und häufig, weil es meist ein Horn hat (manchmal aber auch zwei oder drei) als „Einhorn“ bezeichnet wird. „Wie man erzählt“, schreibt Engelbert Kaempfer in seiner anno 1727 postum erschienenen „Geschichte und Beschreibung Japans“, sei es „ein vierfüßiges, an der Brust mit weichen hinterwärts gebogenen Hörnern, geflügeltes schnelles Thier: einem Pferd an Leibe, einem Hirsche an Füßen und Klauen, und am Haupte beinahe einem Drachen gar nicht ungleich. Es sei von solcher Heiligkeit, dass es im Gehen sich bemühet, kein einziges Würmchen oder Kräutgen zu kränken.“ Diese Sanftmut strahlt in Frankfurt das Chilin, ein bronzener Weihrauchbrenner aus dem 17. Jahrhundert, nicht aus. Und von den Grabwächtern, Kompositwesen aus den unterschiedlichsten Tieren, mal mit Dämonen-, mal mit Menschengesicht, lässt sich das auch nicht sagen.

Da wirken neben den – wie Kaempfer sie nennt – „erdichteten“ Tieren die realen weitaus weniger einschüchternd.  Das gilt für eines der Pferde aus der Tang-Zeit, die sich vielfach in Gräbern fanden. Oder für ein „baktrisches Kamel“ mit seinem Treiber – mit der Dreifarbenglasur –, ebenfalls aus dem 8. Jahrhundert. Oder einen Hund, zweitausend Jahre alt, aber wie sein Halsband verrät, bereits ein Haustier. Nur die Löwen geben sich bedrohlicher – und fantastischer. Denn in natura kamen sie in China nicht vor. Diese Menagerie mischt sich in den Vitrinen ohne Respekt vor dem Alter oder der Chronologie. Eine kleine Zikade aus Nephrit von der Zeitenwende begegnet so einem Grabwächter der Tang, einer Kopfstütze mit Tiger-Dekor aus der nachfolgenden Song- oder Liao-Zeit und einem Glücksgott mit Fledermäusen in Blanc-de-Chine-Porzellan aus dem 18./19. Jahrhundert.

Die Sammlungsschenkung Carl Cords

Mehr als die Hälfte der Objekte sind Teil der Sammlung Carl Cords (1879–1945). Der Sammler, von Hause aus wohlhabend, hatte sich in der Nazizeit zwar von Berlin nach Zoppot zurückgezogen. Weil sich das Danziger Museum mehr als zögerlich verhielt, schenkte er seine Ostasiatika-Sammlung 1943 dem Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt, mit dessen Direktor, Walter Mannowsky, er bereits in dessen Danziger Museumszeit gut bekannt war. Dadurch gingen diese Kunstwerke bei der Besetzung von Cords Haus nach dessen Selbstmord – anders als seine Indonesien-Sammlung, die in Zoppot geblieben war – nicht verloren. Etwa 1200 Kunstwerke aller Genre – mit Ausnahme von Malerei und Graphik – gelangten, verpackt in 79 Kisten, im Sommer zuerst nach Frankfurt und anschließend, ausgelagert, nach Tauberbischofsheim, wo sie fast vollständig den Krieg überstanden. Nicht ganz ein Viertel wurde später verkauft oder getauscht, sodass das Haus – inzwischen in Museum Angewandte Kunst umbenannt – noch über rund 900 Stücke aus der Schenkung Cords verfügt.

Fragwürdige Provenienz

Allerdings ist es ein Besitz mit diversen Fragezeichen. Cords hatte zwar bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu sammeln begonnen, jedoch vieles zwischen 1938 und 1942 gekauft, im Handel wie bei Auktionen. In dem Frankfurter Katalog „Das chinesische Steckenpferd“, der 1982 anlässlich der Ausstellung eines wesentlichen Teiles seiner Sammlung erarbeitet wurde, ging man auf die Frage der Herkunft nicht ein. Die Provenienzforschung war damals noch kein Thema. Nicht nur für das Frankfurter Museum. Das soll nun in den nächsten Jahren mit Hilfe des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste für die Sammlung Cords nachgeholt werden. Immerhin wurde inzwischen unter anderem eine Famille-Jaune-Flötenvase der Kangxi-Periode aus der Sammlung des Geheimrats Ottmar Strauss nach Einigung mit den Erben zurückerworben. Sie war, um die Emigration zu finanzieren, 1934 wohl bei Hugo Helbing in Frankfurt versteigert worden. Ihren Wert hatte man bei der Inventarisierung  der Schenkung Cords mit 25.000 RM beziffert. Außerdem prüft das MAK derzeit die Provenienz zweier Dachreiter, ein „Sitzendes Pferd“ und ein „Drache auf Wolken“, aus der Sammlung von Eduard Fuchs, dem Karikaturen- und Ostasiatika-Sammler. Beide sind in seinem Buch „Dachreiter und verwandte Chinesische Keramik des XV. bis XVIII. Jahrhunderts“ (1924) abgebildet, das sich bis auf zehn Beispiele allein auf die Sammlung Fuchs stützt. Zu ihr gehörten unter anderem 120 Dachreiter, die 1937 bei Rudolph Lepke – meist nur für zweistellige RM-Beträge – zugeschlagen wurden.

Menagerie des Fantastischen und Weltlichen

Die hübsche Kleinigkeit der Menagerie, die „Meet Asian Art“ versammelt, macht angesichts dieser – allerdings ungenannten – Nebenlinien deutlich, dass eine „Kunst-als-Kunst“-Genügsamkeit ihre Grenzen hat. Mögen die „Dämonen, Einhörner und Mondhasen“ auch auf ihrer Eigenheit und Eigenständigkeit bestehen. Und mögen sie so, wie sie am Museumsufer ihren Auftritt haben, den Besucher mit ihren mythischen wie anekdotischen Geschichten charmant unterhalten. Ihre Vergangenheit als Kunstwerk wie als Sammlerstück sollten darüber nicht in Vergessenheit geraten.

Anmerkung der Red.: In einer früheren Fassung des Beitrags hieß es, dass die zwei Dachreiter bereits an die Erben von Eduard Fuchs restituiert wurden. Richtig aber ist, dass die Provenienz derzeit geprüft wird. Wir haben dies korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Service

AUSSTELLUNG

„Von Drachen, Einhörnern und Mondhasen – Tierische und mythische Wesen im Alten China“, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main; bis 30. August, Faltblatt kostenlos, www.museumangewandtekunst.de

Zur Startseite