Die Berlin Art Week und das Gallery Weekend legen in der Coronakrise den Fokus auf vorsichtige Begegnungen in Galerien und Museen. Das großartige Programm lohnt sich – und lässt sich hervorragend mit Kultur und Genuss unter freiem Himmel kombinieren
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04.09.2020
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 175
Als das Amerika-Haus vor gut 60 Jahren eröffnet wurde, war es Teil der geistigen Aufbauarbeit, die die USA in West-Berlin leisteten. Das architektonische Ensemble wurde seit 1957 zum Ort, an dem die Berliner die Kultur der Alliierten-Macht inhalieren konnten. Schon damals waren Ausstellungen mit Fotografie beliebt – und sind es immer noch. Denn die private Institution C/O Berlin, die den modernistischen Bau mit seinem internationalen Stil heute bespielt und gerade ihr 20-jähriges Jubiläum feiert, hat sich exakt diesem Medium verschrieben. Nur ihr Programm unterscheidet sich sehr von dem der 1950er- und 1960er-Jahre: Sie zeigt auch die Schattenseiten der politischen Supermacht, setzt sich mit Tabuthemen wie dem Tod auseinander oder feiert die Punkkultur in der DDR, der Harald Hauswald mit seiner Kamera nahekam.
„Voll das Leben“ heißt Hauswalds Ausstellung, die ab dem 12. September – neben zwei weiteren Schauen von Michael Danner und Felicity Hammond – zu sehen ist. Ein echtes Motto für das Haus und seine Umgebung. Denn seit dem Umzug von C/O Berlin aus Mitte nach Charlottenburg vor sechs Jahren meldet sich der westliche Bezirk insgesamt zurück.
Eine Tour zur Berlin Art Week, die vom 9. bis 13. September stattfindet, lässt sich inzwischen prima am Bahnhof Zoo starten. Besser sogar als im alten Scheunenviertel, weil Charlottenburg mehr neue Hotspots vorweisen kann. Es beginnt mit der Efremidis Gallery im Foyer des alten IBM-Rechenzentrums am Ernst-Reuter-Platz, die Zeichnungen des Iraners Hadi Fallahpisheh zeigt (ab 11. September). Unweit davon sitzt Wentrup in einer ehemaligen Schalterhalle der Post. Die Räume der Galerien Buchholz, Kornfeld, Wolfgang Werner und Crone auf der Fasanenstraße muten da fast schon „normal“ an. Die meisten von ihnen nehmen am parallel zur Art Week stattfindenden Gallery Weekend (11. bis 13. September) teil und krönen das wichtige Event mit Werken ihrer Starkünstler: Gotthard Graubner, Otto Zitko, Vincent Fecteau oder Jan-Ole Schiemann.
Wer auf dem Weg zum Fasanenplatz, wo die Galerien Klaus Gerrit Friese und Mehdi Chouakri liegen, Lust auf einen kleinen Umweg hat, besucht Daniel von Wichelhaus in seiner Galerie Société. Auf der Wielandstraße ist der Experte für künstlerische Avantgarde erst seit Kurzem – auch wenn die repräsentativen Räume im Erdgeschoss aussehen, als residiere er hier mindestens seit hundert Jahren. Der Fasanenplatz befindet sich übrigens bereits in Wilmersdorf – ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir auf dem Weg tief in Berlins Süden sind. Pausieren lässt es sich nahe der Galerien Friese und Chouakri gut im Buchshop Bookinista, der auch Barista-Kaffee anbietet. Oder bei Nicos Süßem Atelier mit seinen dekorativen Törtchen.
Am Haus der Berliner Festspiele, einer beispielhaften Architektur der Nachkriegsmoderne von Fritz Bornemann, geht es vorbei Richtung Bundesallee und nun per U-Bahn, Bus oder Auto in den Grunewald. Das Brücke-Museum am Bussardsteig, ein lange unterschätztes Kleinod, wird von seiner jungen Direktorin Lisa Marei Schmidt sehr belebt. Das Haus mit seiner exquisiten Sammlung expressionistischer Kunst nimmt erstmals an der Art Week teil und lädt Documenta-Künstlerin Vivian Suter zum Dialog.
Einen Besuch wert ist auch die benachbarte Bernhard-Heiliger-Stiftung, in der ab 11. September Stipendiat Zazzaro Otto vorgestellt wir. Für seinen Talk mit dem Kunsthistoriker Ernst A. Busche um 19 Uhr muss man sich zuvor anmelden; wie überhaupt unter Corona-Bedingungen mehr Rücksicht und Geduld gefordert sind. Die Maske muss mit, Abstand ist geboten! Das gilt auch für das benachbarte Kunsthaus Dahlem, einst Atelier des NS-Bildhauers Arno Breker und heute Ausstellungsort. Hier stehen Plastiken von Wieland Förster. Eine Tipp ist das Café im Kunsthaus mit seiner famosen Terrasse und diversen Tagesgerichten. Hier kann man den Tag friedlich ausklingen lassen – oder direkt vor der Tür noch eine Runde durch den Wald bis zum Grunewaldsee drehen. Aber nicht wundern: Hier herrscht Leine los, Hunde dürfen offiziell frei laufen.
Heute wandeln wir auf vertrautem Terrain. Die Potsdamer Straße genießt inzwischen einen ähnlichen Ruf wie früher Mitte als Kunstquartier. Dennoch hält auch diese Ecke für viele noch Überraschungen bereit. Etwa die Kunstsaele Berlin an der Bülowstraße, ein mäzenatisches Projekt der Sammlerin Geraldine Michalke mit wechselnden Ausstellungen. Zur Art Week lockt die herrschaftliche Wohnung mit der Ausstellung „Freitod“ – und der traurigen Nachricht, dass dies nach zehn Jahren die letzte Schau sein wird.
Auf der Potsdamer Straße orientieren wir uns Richtung Neue Nationalgalerie. Ein Blick zurück zur Hausnummer 151 lässt uns immerhin verorten, wo die angesagte Künstlerbar TV liegt: Sie macht jedoch erst abends auf, ist also ein Ort für später. Vorerst geht es zur Galerie Klosterfelde Edition mit ihrer Schau „Katzen und Architektur“ von Wilhelm Klotzek. Bevor man – wie gewohnt – rechts in die Mercator-Höfe abbiegt, wo neben dem Concept-Store von Andreas Murkudis mehrere Galerien ansässig sind, lohnt ein Gang nach links in die Pohlstraße. Guido Baudach hat, nach mehreren Umzügen, hier ein schönes Ladenlokal gefunden, in dem er Farbfeldmalerei von Tamina Amadyar zeigt. Und Tanja Wagner – eine der drei Galerien, die dieses Jahr um den VBKI-Preis für junge Kunsthändler konkurrieren – präsentiert die intensiv leuchtenden Figurenbilder von Grit Richter. Sie muss man gesehen haben und darf sich dann im Les Climats niederlassen, einer Weinbar, die auch Kleinigkeiten zum Essen anbietet.
Zeit für die Galerie Judin, Plan B und Esther Schipper, deren Räume zur Art Week von dem Konzeptkünstler Philippe Parreno bespielt werden. Und nicht nur das: Die Galerie unterm Dach richtet sich temporär auch im Erdgeschoss des Gebäudes in der gigantischen Halle von Blain Southern ein, die Anfang 2020 geschlossen haben. Reserviert ist der Platzfür Ugo Rondinone und seine Skulpturen, die man sich ähnlich monumental vorstellen muss. Wer den Ort verlässt, blickt auf einen Altbau, in dem mit Reiter aus Leipzig und Hua International aus Peking zwei weitere Galerien locken. Alternativ warten am Schöneberger Ufer Aurel Scheibler, Bortolozzi und PSM.
An diesem Ort von einem dead end zu sprechen ist sicher übertrieben. Dennoch dauert es, bis die Neue Nationalgalerie nach ihrer Sanierung wiedereröffnet und ein markantes Ziel auf der anderen Seite des Ufers darstellt. Am besten nimmt man deshalb den Bus M29 oder ein anderes Fahrzeug bis zum Checkpoint Charlie. Von hier ist es ein Katzensprung in die Galerie Alexander Levy mit ihrer Ausstellung „Taumel“ von Felix Kiessling, der Fahrradrahmen zu Skulpturen formt. Auch Bettina Pousttchi, Künstlerin der nahen Galerie Buchmann in der Charlottenstraße und hier mit neuen Arbeiten vertreten, holt sich ihr Material von der Straße, biegt Leitplanken und Baumschutzbügel. Zur Art Week 2019 gastierte sie mit Plastiken in der Berlinischen Galerie, die sich diesmal ganz der Zeichnung verschreibt: Gezeigt wird das Werk des aktuellen Gasag-Preisträgers Marc Bauer.
Zu Fuß geht es weiter nach St. Agnes, der brutalistischen ehemaligen Kirche auf der Alexanderstraße. Seit sie unter dem Galeristen Johann König zum Ausstellungsraum wurde, zieht sie verlässlich Kunstfreunde an, die jetzt zu Friedrich Kunaths Malerei pilgern. Als im Frühjahr die ersten Kunstmessen ausfielen, realisierte König kurzfristig eine eigene „Messe“ vor Ort mit Sammlern wie Kollegen – so erfolgreich, dass vom 12. bis 20. September eine zweite Ausgabe ansteht. Im Kirchgarten wird man zum Abschluss gastronomisch verwöhnt.
Wir starten heute in der Galerie Ebensperger im Kulturquartier Silent Green in Wedding. In einer ehemaligen Aussegnungshalle zeigt Regisseurin Marta Górnicka ihre Filme. Danach schauen wir im Restaurant Mars vorbei, das ebenfalls in Räumen des ehemaligen Krematoriums untergebracht ist. Im Neuen Berliner Kunstverein auf der Chausseestraße zeigt der in New York lebende Künstler Hans Haacke, dass er auch als 83-Jähriger noch zu den beweglichen Geistern mit präzisen politischen Ambitionen gehört. Während im Kunstverein Haackes Projekt „Der Bevölkerung“ für den Deutschen Bundestag dokumentiert wird, hängen an Gebäuden wie der Akademie der Künste am Pariser Platz diverse Plakate des Künstlers zum Thema Migration, mit denen während der Documenta 2017 auch Kassel und Athen gepflastert waren.
In der Akademie sehen wir uns die Ausstellung „EC(centric)City – Die exzentrische Stadt“ an. Anschließend führt uns ein Spaziergang auf dem Boulevard Unter den Linden zum Palais Populaire, wo am 9. September eine Außenarbeit der österreichischen Künstlerin Valie Export eingeweiht wird – und drinnen ein Video von Cao Fei über die Träume junger ArbeiterInnen einer chinesischen Glühbirnenfabrik läuft. Auf dem Weg von der Akademie zum Palais liegen Schinkel-Pavillon, Schering Stiftung und – etwas versteckt in der Brüderstraße – die Galerie Kewenig. Seit Jüngstem betreut sie den Nachlass von Raimund Girke, dessen nahezu weiße Malerei erst bei Nahsicht ihre Finessen preisgibt. Fans stärkerer Kontraste besuchen das Auktionshaus Lempertz: Die Ausstellung mit Fotografie von Hein Gravenhorst eröffnet offiziell zwar erst Ende September, ist auf Anfrage aber früher zu sehen.
Wer nun eine Pause braucht, dem bietet die Rotisserie Weingrün einen Platz an der Gertraudenbrücke mit Blick auf den Kupfergraben. Ein bisschen Energie braucht man wirklich, um anschließend mit dem Rad, dem Auto oder den Öffentlichen zur Neuen Grünstraße und damit zur Galerie Konrad Fischer zu fahren. Vergangenes Jahr zog sie in ein altes Umspannwerk, und die Skulpturen von Thomas Schütte im Vorgarten sind nicht minder eindrucksvoll wie der Backsteinbau. Berta Fischer, die die Galerie von ihren Eltern übernommen hat, ist selbst Künstlerin, während der Art Week stellt sie ihre fragilen Objekte in der Kreuzberger Galerie Barbara Weiss aus. Ziel unserer Fahrt ist allerdings die Gegend um die Volksbühne. Hier, in der denkmalgeschützten Wohnanlage von Hans Poelzig aus den 1920ern, sitzen diverse Galerien. Neben Nagel Draxler auch BQ, die sämtliche Editionen von David Shrigley zeigt – „Very open, very closed“ heißt die Schau und gibt einen Vorgeschmack auf den schrägen Humor des Multitasking-Künstlers. Nebenan auf der Linienstraße hat Andreas Greiner seinen Auftritt bei Dittrich und Schlechtriem, ein Stück weiter stellt Daniel McLaughlin in seiner neuen Galerie im Suhrkamp-Haus erstmals Lluis Lleo in Berlin vor.
Imbisse gibt es in dieser Gegend genug, doch vielleicht gehen wir erstmal ans andere Ende der Linienstraße, wo Galerien wie Neugerriemschneider und Neu warten. Mit Olafur Eliasson und Isa Genzken hat Erstere zwei künstlerische Schwergewichte zu bieten, während Neu auf die melancholische Malerei von Victor Man setzt. Seinen Appetit stillt man im Princess Cheesecake auf der Tucholskystraße mit einem Stück Torte. Oder bei Mogg Fine Foods in der ehemaligen Mädchenschule mit Pastrami-Sandwiches. Bei der Gelegenheit stellt man auch fest, dass die Kunst-Werke vis-à-vis für die aktuelle Berlin Biennale temporär ausgezogen sind – und zwar in die Pickle Bar des Künstlerkollektivs Slavs and Tatars. Die befindet sich in Moabit. Wir überlegen einen Moment, ob sich dieser Punkt noch in die Tour aufnehmen lässt, entscheiden uns dann aber für das Kindl – Zentrum für Zeitgenössische Kunst in Neukölln. Hier hat mit Kathrin Becker jüngst eine neue Direktorin angefangen. Ihren Auftritt zur Art Week bestreitet sie mit vier Ausstellungen, die wir nicht verpassen wollen. Genauso wenig wie Babette’s Garden direkt am Kindl, ein lässiger Biergarten des ehemaligen Bar-Babette-Betreibers Maik Schierloh, in dem wir unseren Kunstmarathon ausklingen lassen.