Ende Oktober wäre Helmut Newton 100 Jahre alt geworden. Ein Gespräch mit Matthias Harder, Direktor der Helmut Newton Foundation, über den Ausnahmefotografen und ein Jubiläum in Corona-Zeiten
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29.10.2020
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Erschienen in
Kunstquartal Nr. 4
Seit 2003 widmet sich die Helmut Newton Foundation der Aufarbeitung und Präsentation des Werkes von Helmut und June Newton. Die Stiftung versteht sich als lebendige internationale Institution und ist mit ihren Ausstellungen im Museum für Fotografie zu einem wichtigen Bestandteil des Berliner Kulturlebens geworden. Wir sprachen mit dem Stiftungsdirektor Dr. Matthias Harder über die Aktivitäten zum 100. Geburtstag des Fotografen.
Ohne die Corona-Pandemie hätten wir an Newtons Geburtstag eine neue große Retrospektive eröffnet. Doch nun haben wir die für Mai geplante Ausstellung „America 1970s/80s“ auf Anfang Oktober verschoben und eröffnen die Retrospektive erst an June Newtons Geburtstag, also am 3. Juni 2021. Diese Ehrentage haben auch in der Vergangenheit unserer Stiftung stets eine große Rolle gespielt. Natürlich lassen wir Newtons 100. Geburtstag nicht einfach ungeschehen verstreichen, sondern zeigen am 31. Oktober eine erste große Outdoor-Ausstellung an vielen Orten in Berlin sowie eine Filmreihe mit bisher nie gezeigten Filmen zu seinem Werk innerhalb der Stiftung beginnend mit dem Filmporträt „The Bad and the Beautiful“ von Gero von Boehm, das am 31. Oktober auch auf 3Sat ausgestrahlt wird.
In der Stiftung befinden sich nicht nur Tausende von Originalfotografien von Helmut Newton und seiner Frau June, die unter dem Pseudonym Alice Springs selbst ein bedeutendes fotografisches Werk geschaffen hat, sondern auch alle Negative und Kontaktbögen. Die sind ein wahrer Schatz. Newton hat ja häufig die zugrundeliegenden Ideen in seinen Notizbüchern notiert und vor Ort realisiert. Manche Motive hat er dann auf den Kontaktbögen markiert; solche Aufnahmen können wir genauso für spätere Ausstellungen verwenden wie seine veröffentlichten Bilder. In unserem Archiv befinden sich Tausende von Vintage-Zeitschriften, meist Mode- und Gesellschaftsmagazine, und darin finden Sie großartige, meist inzwischen vergessene Newton-Aufnahmen. Wir sind die einzigen, die dazu berechtigt sind, solche Bilder zu zeigen.
Die drei wichtigsten Aspekte seines Werkes sind die Genres Mode, Porträt und Akt mit einem Schwerpunkt auf Modefotografie. Deshalb stelle ich die Mode auch ins Zentrum unserer Retrospektive, inklusive 100 „neuer“ Bilder, die sich aus den genannten Quellen speisen. Insofern wird die große Newton-Ausstellung 2021 auch eine Entdeckung für diejenigen sein, die sein Werk eigentlich ganz gut kennen. Mit jeder neuen Gruppenausstellung beabsichtigen wir Newtons Werk neu zu kontextualisieren. Neben den Hauptgenres gibt es Straßenszenen, Landschaften und Stillleben in seinem Werk zu entdecken. Für die Ausstellung „Sex & Landscapes“ hat Newton 2002 seinen damaligen Züricher Galeristen Simon de Pury überzeugt, großformatige Landschaftsmotive als Editionen aufzulegen. Diese Bilder hingen dann auch später an den Wänden unserer Stiftung.
Helmut Newton hat sich 2003 entschlossen, in seiner Heimatstadt Berlin eine Stiftung zu gründen, die sein fotografisches Werk bewahren und in Ausstellungen erschließen soll. Das ehemalige Landwehrkasino am Bahnhof Zoo wurde für diesen Zweck ausgewählt, also ein historisches und repräsentatives Gebäude, das unmittelbar an dem Ort liegt, wo Newton 65 Jahre zuvor auf der Flucht vor den Nazis die Stadt verlassen musste. In Form einer „Public-Private-Partnership“ mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bespielen wir als Museum für Fotografie seitdem sehr großzügige Ausstellungsräume; mal sind es Einzelpräsentationen von Newton oder seiner Frau June, mal Gruppenausstellungen wie momentan „Body Performance“ oder vor einigen Jahren eine erste große Übersichtsschau zur Paparazzi-Fotografie. Unsere Stiftung ist einmalig in der Welt, und was mich persönlich freut, ist der große Erfolg unserer Vermittlungsarbeit, sowohl beim Publikum als auch in der Presseresonanz. So halten wir Helmut Newton und sein Werk lebendig.
Ja, zweimal haben wir uns getroffen; einmal nur kurz im Rahmen seiner Retrospektive zum 80. Geburtstag, bei der Vernissage in der Neuen Nationalgalerie in Berlin – und drei Jahre später in der Lobby eines Berliner Hotels. Er hatte mich zu sich eingeladen, mir von der Gründung seiner Stiftung erzählt und mich am Ende des mehrstündigen Gesprächs gefragt, ob ich Stiftungskurator werden wolle. Ich sagte sofort zu. Ich erinnere mich gern an diese intensive Begegnung mit Helmut Newton, mit einem noch immer neugierigen, vielseitig interessierten und humorvollen Menschen. Bedauerlicherweise starb er nur einige Wochen später in Los Angeles. June Newton wurde Stiftungspräsidentin und bestimmte in den ersten Jahren, in Abstimmung mit mir, das Ausstellungsprogramm. Seit einiger Zeit hat sie sich völlig zurückgezogen und ich verantworte die Ausstellungen in der Stiftung allein. Natürlich stehen wir weiterhin in engem Kontakt.
In der Stiftung organisieren wir zwei Ausstellungen pro Jahr, von denen dann manche später auch an anderen Orten gezeigt werden. Das ist ein wunderbarer Aspekt meiner Arbeit, die mich seit 2005 an so interessante Orte wie Montreal, New York, Nizza, Rotterdam, Venedig, Stockholm, Budapest, Amsterdam, San Gimignano, Genua, Neapel und München führte. Ein Kuriosum, selbst für mich, ist, dass die gleiche Ausstellung an einem anderen Ort oft völlig anders wirkt.
„Helmut Newton One Hundred“
Wand am Kraftwerk, Berlin
31. Oktober bis 16. November
Filmlounge, Museum für Fotografie, Berlin
31. Oktober bis 8. November
„The Bad and the Beautiful“ von Gero von Boehm
31. Oktober auf 3Sat