Im Münchner Haus der Kunst verweisen Michael Armitages Bilder auf die Realität des postkolonialen Afrika und auf Meisterwerke der europäischen Malerei
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09.10.2020
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 177
Am Anfang sind die Affen da, Meerkatzen und Paviane etwa. Einer reitet siegesgewiss auf einem schemenhaften Vogel Strauß, der andere liegt lässig am Boden wie ein gesättigter Römer auf dem Speisesofa. Michael Armitage malt diese Tiere sehr menschelnd. Sie gerieren sich wie die Herren des Tierreichs – und sind doch nichts weiter als Affen. Unter dem Titel „Paradise Edict“ widmet das Haus der Kunst dem kenianisch-britischen Maler, dessen Bilder 2019 auf der Venedig-Biennale beeindruckten, nun eine erste größere Einzelausstellung.
Michael Armitage, geboren 1984 in Nairobi, ist bei der renommierten Londoner Galerie White Cube unter Vertrag und bekam kürzlich den Ruth-Baumgarte-Preis. Es ist ein hintergründiges Spiel, das er in seinen altmeisterlich wirkenden Ölgemälden mit dem Betrachter treibt – und das in der von Anna Schneider kuratierten Schau deutlich wird. Eine flächige Auflösung des Bildraumes und Farben wie bei Gauguin und van Gogh, ein barock anmutendes Repertoire der Haltungen: Sein Werk lockt mit vertrauten Genres, Gestalten und Motiven aus der abendländischen Kunst zum Schauen, um uns die Augen zu öffnen für eine andere Wirklichkeit – die postkoloniale Gegenwart, die hier bestenfalls als zwiespältig und schlimmstenfalls als gnadenlos beschrieben wird. Zugleich ist für den Künstler, der in Kenia aufgewachsen ist und in London an der Slade School of Fine Art studiert hat, wesentlich, dass das kenianische Publikum seine Bilder versteht. Auch wenn er sie dort tatsächlich bisher noch nie ausgestellt hat.
In den französischen „Singerien“ des Rokoko dienten die Affen als Trickster-Figuren, die humoristisch menschliche Eigenarten darstellten. In der Armitage-Ausstellung bevölkern die Tiere das Treppenhaus, das quasi als Foyer zu den Schauräumen im Obergeschoss dient. Die Wände hier sind in leuchtendem Gelb und Türkisgrün gehalten, als Besucher wähnt man sich deshalb kurzfristig auf dem Weg in einen exotischen Garten Eden.
Doch der Farbklang aus sanftem Grün und heiterem Gelb ist dissonant. Paradiesisch waren die Zustände schon in Gauguins Tahiti nicht und sind es in den hier gezeigten Landschafts- und Historiengemälden auf keinen Fall. Das macht nicht nur das titelgebende Großformat „Paradise Edict“ deutlich, dessen dominierende Linien wie in einem Vexierbild doppeldeutig sind und dafür sorgen, dass die Szenerie zwischen Tortur und Natur changiert. Palimpsestartig durchdringen sich die Bildelemente, verschwimmen die Ebenen von Raum und Zeit.
Was auch durch den Werkstoff unterstrichen wird: Armitage malt in zartem Farbauftrag auf Lubugo, ein tuchartiges Material, das aus der bearbeiteten Rinde des Natalfeigenbaums besteht. Von den Baganda in Uganda wird es bei Ritualen und als Leichentuch verwendet. Der Maler nutzt es für seine Kunst. Eine Anmaßung? Ja und nein. In seinen Tableaus geht es um Leben und Tod. Und weil Lubugo als Bildgrund Furchen, Vertiefungen und Löcher aufweist, steigert gerade diese Versehrtheit der Oberfläche die Bildwirkung enorm.
In „Enasoit“ von 2019 (benannt nach einer Safari-Gegend in Kenia) wirbeln vor einem Bergplateau Gliedmaßen durch die Luft, von denen man nicht sagen kann, ob sie zu Lebenden oder zu Toten gehören. In „Exorzismus“, dessen Titel bange Erwartungen evoziert, bleibt die erkennbare Handlung dann fast harmlos vage.
Im Raum nebenan finden sich Figurenbilder zum Oberthema „Widersprüche des Menschseins“. Der afrikanische „Midas“ wäscht sich in einem Schwall aus Blut, der Blick einer alten Frau („Hope“, 2017) ist unendlich müde. Ihre Hoffnung blinkt fast unerreichbar in Form einer Waschmaschine. Die junge Schöne hingegen, die Armitage „Antigone“ nannte, schaut einen so direkt an wie eine Manet-Protagonistin – nur bestürzend illusionslos. Mit einem Feigenblatt in der Hand deutet sie auf ihre entblößte Scham, „All I want, is to get married“ steht darüber geschrieben. Das von einem Mann gemachte Zerrbild sinnlicher Exotinnen, das Gauguin manifestierte, bekämpfte Armitage hier 2018 malerisch virtuos mit dessen eigenen Mitteln.
Seine Palette bietet ein Fest der Farben, seine Gemälde lösen sich bei näherer Betrachtung in Farbflecken auf. Am Ende bleiben glühendes Orange, brennendes Rot, blutiges Lila im Gedächtnis. So wie in der „Kenyan Election Series“, die sich mit den Wahlen in Kenia 2017 auseinandersetzt. Damals nahm Armitage selbst an einer Oppositionskundgebung teil und verarbeitete seine Beobachtungen. Der Maler schenkt zugleich Form und Farbe inmitten des Gegenständlichen ein fast abstraktes Eigenleben, das von impressionistischer Zartheit bis zu expressiver Bewegtheit reicht: etwa den Schwaden aus der Rauchpatrone in „The Promised Land“ oder den lodernden Flammen in „The Accomplice“ (beide Werke von 2019).
In „Mkokoteni“ (2019), der Darstellung eines Handwagenfahrers, kann man sich nicht sicher sein, ob der gesichtslose hintere Passagier seinen Vordermann nicht gleich meuchelt. Die Komposition des vielfigurigen Hochformats „Pathos and Twilight of the Idle“ (2019) hingegen scheint sich in der Staffelung der Figuren und der Kopfhaltung einiger Demonstrationsteilnehmer an Tizians berühmter „Mariä Himmelfahrt“ anzulehnen – inhaltlich wiederum hinterlässt das Werk einen so starken Eindruck wie Delacroix’ „Die Freiheit führt das Volk“.
Dabei macht „Paradise Edict“ nicht nur die Einflüsse der europäischen Kunstgeschichte sichtbar, die Armitage sichtlich genau studierte. Ein kleiner Raum verdichtet „Inspiration und Studien“, in dem man einerseits seine Skizzierqualitäten beobachten, andererseits geschnitzte Makonde-Holzskulpturen bewundern oder im Film dabei zusehen kann, wie mühevoll Lubugo hergestellt wird. Gerne hätte man hier auch noch ein paar Erläuterungen zur Ikonografie der „Election Series“ bekommen, zum Beispiel für welche Gruppierung die auffällige, den Vordergrund dominierende gelb-blaue Fahne in „Pathos and Twilight“ steht.
Ein weiterer Saal in der Ausstellung ist den Einflüssen afrikanischer Kunst gewidmet, die Armitages Bilder ebenso prägten: Hier kann man ostafrikanische figurative Maler entdecken, die man hierzulande nicht oft sieht. Die ausdrucksvoll schillernden Porträts des ugandischen Künstlers Jak Katarikawe (1938–2018) zum Beispiel oder die grafischen Werke von Theresa Musoke (geboren 1944 in Kampala, Uganda), in denen sich Flora und Fauna zu einer undurchdringlichen Urlandschaft verschlingen.
Vor dem Hintergrund dieser üppigen Natur spielt sich auch die große Bilderzählung von Michael Armitage ab. Die Primaten allerdings, die dieses Paradies zur Hölle verkommen lassen, sind wir Menschen – nicht die tierischen anderen.