Lucio Fontanas Keramik

Roh, rasant und radikal

Die Kölner Galerie Karsten Greve präsentiert in einer musealen Ausstellung die Keramik von Lucio Fontana. Gerne verkannt werden seine figürlichen Werke, doch sie sind nicht weniger aufregend als die aufgeschlitzten Leinwände, Skulpturen und Objekte, mit denen der Avantgardist in die Kunstgeschichte einging

Von Sebastian Preuss
19.11.2020
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 179

Die figürlichen Keramikskulpturen von Lucio Fontana haben die Kunsthistoriker und Kritiker schon immer irritiert. Vor allem, seit der Künstler 1948 im „Ersten Manifest des Spazialismo“ ein völlig neues Verhältnis von Kunstwerk und Raum propagierte und „Ausdrucksformen von ganz anderer Art“ versprach, bei denen auch die „Mittel moderner Technik“ zum Einsatz kommen sollten. Es folgten vier weitere Spazialismo-Manifeste bis 1952, vor allem folgten Taten: Im Jahr 1949 durchbohrte Fontana erstmals Leinwände und Papierarbeiten, das zweidimensionale Bild erweiterte er in den Raum, öffnete es in neue, durchaus kosmisch gedachte Sphären und nannte fortan einen Großteil seiner Werke „Concetto spaziale“ (Raumkonzept).

Zehn Jahre nach den ersten Aufbrechungen von Gemälden folgten die ersten der berühmten Aufschlitzungen monochromer Leinwände. Die Malerei hatte nun auch im physischen Sinn ein Dahinter und Davor, ein epochaler Schritt in eine neue Phase der Moderne, der die Zero-Bewegung, die Konzeptkunst, den Minimalismus und viele andere Strömungen nachhaltig beeinflusste.

Werke wie „Arlecchino“ oder die barock bewegte Figurengruppe „Battaglia“ sind aber kein Fremdkörper in Fontanas Avantgarde-Werk, sondern integraler Bestandteil. Der 1899 in Argentinien geborene Künstler, Sohn italienischer Einwanderer, bis 1947 immer wieder zwischen beiden Ländern hin und her pendelnd, war ein Jongleur der Stile, ein fortschrittsgläubiger Futurist, Ingenieur und Erfinder ebenso wie ein Bildhauer, der in den Dreißigern und Vierzigern zahllose Kreuzigungen, neoklassische Friedhofstatuen, Figuren der Commedia dell’Arte und formaufgelöste Kampfszenen wie diese schuf. Fontana blickte zugleich nach vorne und zurück, das war kein Widerspruch für ihn.

Keramik war für ihn bis zu seinem Tod 1968 fundamental, weit mehr als 500 Arbeiten schuf er in dem Material. Das ist jetzt eindrucksvoll in der Kölner Galerie von Karsten Greve zu erleben, wo bis 23. Januar mehr als 30 keramische Werke Fontanas ausgestellt sind. Die Preise liegen zwischen 200.000 und 800.000 Euro. Greve sammelt seit fünfzig Jahren diesen Künstler, gerade die Keramikarbeiten stehen dabei in seinem Fokus. Immer wieder organisierte er in seinen Galerien in Köln, Paris und St. Moritz Ausstellung zu diesem Thema und veröffentlichte substantielle Publikationen dazu. Während die Museen im zweiten Corona-Lockdown geschlossen sind, ist diese museumsreife Präsentation wohl das derzeit Bedeutendste aus der Kunst der Moderne, das derzeit in Köln öffentlich zu sehen ist.

Zu Fontanas Vorliebe für den Werkstoff Ton trug wohl bei, dass sein Vater im argentischen Rosario eine Manufaktur für Skulpturen und dekorative Keramik betrieb. Den entscheidenden Impuls gab aber sein Freundschaft mit Tullio d’Albisola, der die (heute noch bestehende) Manufaktur Mazzotti im Keramikort Albisola an der ligurischen Küste betrieb.

Seit 1935 arbeitete Fontana hier immer wieder, realisierte figürliche Skulpturen und seit den Fünfzigern auch „Concetti spaziali“: durchbohrte oder geschlitzte Bildplatten und gefäßartige Objekte, auch die „Nature“, aufgebrochenen Kugeln, die wie archaische Eier von Dinosauriern aussehen. „Ich bin ein Bildhauer und kein Keramiker“, das war ihm wichtig. „Ich habe niemals einen Teller auf der Töpferscheibe gedreht oder eine Vase bemalt.“

Als Fontana im März 1947 aus Argentinien zurückkehrte, wo er den Krieg überdauert hatte, fuhr er direkt nach Albisola und stürzte sich in die Arbeit. In dieser Zeit entstand „Battaglia“ (Schlacht). Schon in den Dreißigern hatte er sich mit den dramatischen Figurenverdrehungen in Leonardos nie realisiertem Wandbild der „Schlacht von Anghiari“ auseinandergesetzt. Das griff er jetzt wieder auf, modellierte die Kämpfer so roh und rasant, dass sich die Formen eher auflösen als zusammenfügen.

Der Bezug zu barocken Terrakotta-Bozzetti, etwa von Bernini, wird ebenso deutlich wie der Kontext der damals sich Bahn brechenden abstrakt-gestischen Malerei des Informel. Die flackernden Schlieren der weißen, roten und schwarzen Glasur treiben das Rohe und Fragmentarische auf die Spitze. Die Materie zerfließt und zersetzt sich. Es ist ein radikales Werk, wie fast alles bei Fontana.

Service

AUSSTELLUNG

Lucio Fontana: Ceramics

Galerie Karsten Greve, Köln

18. November 2020 – 23. Januar 2021

Zur Startseite