Zwei Galerieausstellungen im Berliner Kunstraum Chaussee 36 entfalten das Werk des Schweizer Fotografen René Groebli – und erotische Fotoklassiker aus einer Privatsammlung
Von
03.12.2020
Berlins ruinösen Charme zu bewahren, haben schon einige Hausbesitzer versucht. Im schlimmsten Fall endet das mit Fassaden, deren Krieg- und Nachkriegsnarben nun hinter Glas musealisiert sind, während der Rest der Immobilie wie ein Neubau aussieht. In der Chausseestraße 36 ist es anders gelaufen. Das einstige preußische Offiziershaus, das nach dem Mauerfall an die Erben des früheren Besitzers zurückging und von ihnen veräußert wurde, scheint in den 1990er-Jahren eingefroren. Das repräsentative Treppenhaus wurde gerade so renoviert, dass nichts bröckelt. In den Räumen und Sälen, die für diverse Veranstaltungen zu mieten sind, hängt teils noch die alte Tapete, teils blickt man auf Putz.
Im Innenhof dieser authentischen Zeitmaschine warten mit „Galerie“ und „Studio“ zwei exquisite Adressen für Ausstellungen. Die erste, ein klassischer White Cube, dient aktuell einer Ausstellung des Schweizer Fotografen René Groebli: stark kolorierte Porträts, die in ihrer Flächigkeit und ihren poppigen Kontrasten denen von Andy Warhol ähneln. Allerdings gewann Groebli seinen Titel als „Master of Color“, vergeben vom renommierten amerikanischen Magazin Popular Photography, bereits 1957 nach seiner Serie von Farbfotos über ein Pharmaunternehmen, startete seine künstlerische Karriere also ähnlich früh wie der amerikanische Superstar. In der Schweiz ist der 1927 geborene Industrie- und Werbefotograf deshalb schon lange eine Berühmtheit. Anderswo kennt man ihn vor allem für seine frühen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die etwa in der legendären Wanderschau „The Familiy of Man“ von Edward Steichen gezeigt wurden. Die Konzentration auf sein farbstarkes Werk mit Bildern wie „Der rote Mann“, der per Überblendungsmontage entstandenen New-York-Serie „Babylon, Babylon“ oder „Montage des Opel Record bei General Motors“, für das er sechs Blitzlampen mit Farbfolien verwendete, macht die Ausstellung von „Chaussee 36“ absolut sehenswert.
Das Haus versteht sich auch deshalb als Showroom für Fotografie, weil sein Besitzer, der anonym bleiben will, selbst Abzüge sammelt. „Eros & Photography, Part I: Behind Desire“ speist sich aus dieser Quelle und ist vor allem im „Studio“ zu sehen, das sich als verschlungenes Gewölbe mit Bar und Nischen erweist. Es geht um erotische Aufnahmen ohne die typische Demonstration primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale. Im Fokus steht vielmehr das Begehren – und mit ihm formieren sich Bilder, die solche Fantasien beflügeln.
Davon erzählen Kapitel wie „Dreams“ oder „Intimacy“, unter denen Fotografien von Heinz Hajek-Halke, Ellen von Unwerth, Herb Ritts, Lucien Clergue, Mona Kuhn, Will McBride oder Nobuyoshi Araki versammelt sind. Letzterer zeigt, dass zu dieser Intimität auch Fesselspiele oder S/M-Praktiken zählen können, weil auch sie, sagt Kuratorin Mathilde Leroy, von „Hingabe und Vertrauen“ abhängen. Knapp 70 teils herausragende Fotografien lohnen auch diesen Rundgang. Nur manchmal übertreibt Leroy, wenn sie Arakis schwarz-weißes Großformat in eines der Separées hängt, über die die Katakomben der Chausseestraße 36 verfügen. Oder wie in der Peep-Show Gucklöcher anbietet, um den Eindruck von Authentizität zu befeuern. Das ist in etwa so, als würde ein Sternekoch sein mit Sepia eingefärbtes Gericht auf schwarzen Tellern servieren. Verstärkt wird hier nichts, die Wirkung höchstens aufgehoben.
„Chaussee 36“, Chausseestr. 36, René Groebli und „Eros & Photography, Part I: Behind Desire“, bis 23. Januar 2021, Do-So 13-18 Uhr, chaussee36.photography