Wer nach 1954 in Deutschland eine Grafik des Jahrhundertkünstlers Pablo Picasso erwerben wollte, kam an Michael Hertz kaum vorbei. Die Kunsthalle Bremen würdigt den Galeristen und Sohn der Hansestadt mit einer umfangreichen Ausstellung
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09.02.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 181
Paris ist immer für einen magischen Augenblick gut, doch für Michael Hertz wurde die Visite an der Seine gleich zum großen Umkrempler seines Lebens. Der 1912 in Bremen geborene Buch- und Kunsthändler hatte schon als Reisevertreter einer Bilderleistenfabrik gearbeitet und als Feuerwehrmann, um nicht in den Kriegsdienst eingezogen zu werden. Nun führten ihn 1949 seine Reisen für einen Kunstdrucker aus dem Elsass in die französische Hauptstadt. So kurz nach Kriegsende war das schon ein Unterfangen mit Risiko, konnte man doch kaum einschätzen, wie die Franzosen auf Deutsche, die diesmal nicht als Besatzer, sondern als Touristen oder Geschäftsleute einfielen, reagierten. Hertz, der von einem eigenen und natürlich erfolgreichen Kunsthandel träumte, hatte Glück: Er lernte in Paris den Galeristen Daniel-Henri Kahnweiler kennen, und sein Lebenslauf schlug eine neue Richtung ein.
Der mächtige Kahnweiler nahm den Bremer Nachwuchsgaleristen mit in das Atelier von Picasso. In der Erinnerung von Hertz klingt das so: „Mein Mentor stellte mich dem Genie vor, für das ich als Deutscher – eine damals in Paris seltene Gattung – eine echte Attraktion zu sein schien, denn ich wurde mit Fragen geradezu überschüttet. Dabei spielte der Umstand, dass Kahnweiler mich als Kunsthändler eingeführt hatte, offenbar überhaupt nicht mit, vielmehr hatte seine beiläufige Bemerkung von einer gewissen Rolle, die ich in der deutschen Sektion der internationalen Friedensbewegung spielte, Picasso fasziniert, der mit dieser Bewegung selber aktiv sympathisierte.“
Man harmonierte also prächtig an diesem Tag. Und selbst wenn Hertz aus seiner Erinnerung heraus das Zusammentreffen ein wenig romantisiert haben mag, war es doch der Anlass für ihn, um sich vom Kommunisten, er war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in der KPD, endgültig zum kunstsinnigen Kapitalisten zu verwandeln: Er wurde, mit Unterstützung Kahnweilers, zu einem der Kunsthändler Picassos.
Hertz’ Marktfokus war dabei zunächst auf seine Heimatstadt Bremen gerichtet, die durch das ihm eigene verkäuferische Talent zu einer der umfangreichsten Sammlungen von Picasso-Grafik in Deutschland kam. Die Kunsthalle Bremen arbeitet die Geschichte dieses Bestandes gerade im Rahmen einer Ausstellung mit dem Titel „Die Picasso-Connection“ auf, die, bedingt durch den Lockdown, nach wie vor auf ihre Eröffnung wartet. Ein weiteres Mitglied der „Connection“ und unermüdlicher Unterstützer war Günter Busch, der mittlerweile legendäre Direktor der Kunsthalle, der schnell erkannte, welche Chancen sich mit dem direkten Kontakt zu Hertz für Bremen ergaben – auch wenn Busch seine Ankäufe immer wieder gegen Vorwürfe der „Vergeudung von Steuergroschen“ verteidigen musste. Denn Picasso wurde zwar in der Kunstwelt bereits gefeiert, aber in weiten Teilen der Bevölkerung, nicht nur in Bremen, war er in den Fünfzigerjahren und auch später noch umstritten.
Als Dank für diese tatkräftige Förderung durch Busch schenkte Hertz der Kunsthalle ab und zu eine Grafik. Oder gewährte Preisnachlässe, die oftmals deutlich ausfielen. Anderen Museen nahm er dafür entsprechend mehr Geld ab. So wurden von ihm für die 1957 entstandene Lithografie „Frau in geblümter Bluse“ in Bremen 720 Mark gefordert, während das Museum Folkwang im selben Jahr bereits 1200 Mark an Hertz zahlen musste. Bei den Linolschnitten aus der Folge „45 gravures sur linoleum 1958–1960“, die Hertz am 20. Oktober 1960 nach Bremen verkaufte und die auf dem Markt mit Preisen zwischen 4000 bis 6000 Mark gehandelt wurden, zahlte die Kunsthalle im Schnitt 2182 Mark pro Blatt. Dem Hamburger Kunstmuseum knöpfte Hertz für ein Blatt dieser Folge knapp das Doppelte, nämlich 4200 Mark, ab. Das war nicht nur dem alten Streit um Vorrang zwischen den beiden Hansestädten geschuldet, da war Hertz naheliegend parteiisch, sondern vor allem ein Teil seiner Verkaufsstrategie: sich zuerst in seinem heimatlichen Absatzmarkt eine unanfechtbare Position zu erarbeiten, dann in den wichtigsten Museen Deutschlands die grafischen Werke zu platzieren, um danach den Kunstmarkt zu erobern. Dies gelang perfekt, denn über die Museumsankäufe wuchs die Sehnsucht der Sammler nach Picasso-Werken in Deutschland. An Hertz kam nun keiner vorbei.
Geschäftsfördernd wirkte noch ein weiteres seiner Talente: Hertz spürte sehr genau, wie er mit seinen Kunden umzugehen hatte. Seine Vernissagen waren illustre Ereignisse. In der Erinnerung seines Sohnes Cornelius gab es zu den wichtigsten Veranstaltungen der Galerie immer Cognac für die gekonnt ausgewählte Gästeschaar. Allein, um zu diesem Kreis gehören zu können, lohnte es sich schon, eine Arbeit von Picasso bei Hertz zu erwerben. Mit ähnlichem Geschick gelang es dem Galeristen, berühmte Künstler zu umgarnen. Nicht nur Picasso, sondern auch Fernand Léger, André Masson, Max Ernst oder Ernst Wilhelm Nay sowie Künstler der DDR wie Bernhard Heisig.
Der steile Erfolgsweg war allerdings auch kräftezehrend. Zwar hatte Hertz schon früh von Kahnweiler, dem Torwächter zu Picasso und seinem Œuvre, die Alleinvertretung für Picasso-Grafik in Deutschland zugesprochen bekommen, doch galt diese zunächst nur für Norddeutschland. Das war Hertz nicht genug. Deswegen pokerte er gegenüber Kahnweiler mit der Behauptung eines nahenden Preisverfalls. Und Hertz konnte seine Befürchtung auch argumentativ untermauern: Das Hamburger Auktionshaus Ketterer hatte die Preise für Picassos Grafik gerade sehr niedrig angesetzt, um Publikum zur Versteigerung zu locken. Das wurde von Hertz sofort als „ein deutlicher händlerischer Affront gegen die Nachkriegsgrafik Picassos“ gebrandmarkt. Dazu kam, dass die angebotenen Blätter auf der Auktion dann noch unter dem Schätzpreis versteigert wurden. Picassos ansonsten strahlender Stern am Kunstfirmament drohte matter zu werden. Zumindest aus der Perspektive der Händler. Hertz’ Lösungsvorschlag: Er und nur er steuere fortan zentral aus Bremen den Markt für Picassos Grafik in Deutschland. Dann sei die Gefahr des Preissturzes sicher gebannt. Dieses Argument überzeugte Kahnweiler vollkommen. Sein neuer Deal umfasste, wie Hertz stolz notierte, „unter der Bedingung des absoluten Alleinverkaufs … ganz Deutschland (BRD, DDR, Berlin)“, mehr ging nicht. Und wenn Hertz aufdeckte, dass ein deutscher Käufer direkt bei Kahnweiler Arbeiten erwarb, weil es am Ort der Produktion nun mal günstiger war, dann hagelte es sofort bittere Beschwerden Richtung Paris.
Nicht nur die Kunsthalle Bremen kam durch Hertz zu über 630 grafischen Arbeiten, und damit zu 58 Prozent ihres Picasso-Bestandes. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren kaufte das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin gut 42 Prozent seines Bestandes von Hertz. Dem Folkwang Museum in Essen vermittelte er 43 Prozent in die Picasso-Sammlung, auch das Sprengel Museum in Hannover zählte mit 45 Prozent zu den guten Abnehmern. Die Hamburger Kunsthalle war deutlich zurückhaltender, während das Städel in Frankfurt mit nur 1 Prozent in der Käuferschlange ganz hinten stand. Dessen Direktor erwarb seine Picassos im Ort bei einer Dependance der Berliner Galerie Gerd Rosen, das dürfte Hertz nicht gefallen haben. Doch er konnte eben nicht alles kontrollieren. Auch in Mannheim wurde relativ wenig über ihn gekauft, von Kahnweiler dagegen stammte dort über die Hälfte der Einkäufe. In Summe ist es gleichwohl eine beachtliche Anzahl von Werken, die von Bremen aus die Museen zu füllen begann.
Damit sich Hertz seines Verkaufsmonopols in Picasso-Deutschland nicht zu sicher wurde, gab es immer wieder Störmanöver von Kahnweiler. Hertz empfand sie als eine elaborierte Form des Psychoterrors. In seinen Memoiren gibt er beredt darüber Auskunft. Als besonderes Ereignis blieb ihm der Erwerb des Picasso-Porträts der „Sylvette“ (1954) in Erinnerung, die mit ihren Ponyfransen und dem langen Pferdeschwanz heute eine der Hauptattraktionen in Bremen ist. Die Verhandlungen um das Gemälde waren nervenaufreibend. Jede Sekunde zählte im Umgang mit Kahnweiler, der Hertz gekonnt unter Druck zu setzten verstand und ihm genau fünf Minuten gab, um zu entscheiden, ob er die „Sylvette“ kaufen oder den Coup an sich vorbeiziehen lassen würde. „Ich rechnete und dachte auf das Angestrengteste, woher das Geld und an wen mit dem Bild. Bankkredite an einen Kunsthändler hätte um die Mitte der Fünfzigerjahre als Anliegen offene Heiterkeit ausgelöst“, schreibt Hertz. Einen Konkurrenten im Nacken, der nur noch eine Tür entfernt war und ganz sicher sofort gekauft hätte, rang er sich also mit mulmigem Gefühl durch, das Bild zu kaufen. Es war die richtige Entscheidung. Seine Connections halfen erneut: Wenig später erwarb die Kunsthalle Bremen die „Sylvette“ für damals sagenhafte 45 000 Mark. Dennoch blieb der Schwerpunkt zeit seines Galeristenlebens die Grafik von Picasso, Gemäldeverkäufe waren die Ausnahme.
Ein Oberschenkelhalsbruch zwang Hertz 1977 zum Innehalten. Er ordnete in dieser Zeit seine notierten Erinnerungen, die später als „Kunsthändlerjahre 1931–1981“ publiziert wurden. Sie sind, neben den beeindruckenden Recherchen, die im Katalog präsentiert sind, der erzählerische Kern der sehr interessanten Ausstellung in der Kunsthalle. Seinem Sohn übergab Hertz 1981 die Galerie, die noch drei Jahrzehnte weiter existierte. Er selbst starb 1981 in seiner Heimatstadt. Sein Kapitel deutscher Kunsthandelsgeschichte hatte er da längst geschrieben.
„Die Picasso-Connection. Der Künstler und sein Bremer Galerist“
Kunsthalle Bremen
derzeit geplant bis 21. März (Wegen des Lockdowns ist die Ausstellung noch nicht eröffnet.)