Während die Kunst von Hanne Darboven noch im Lockdown wartet, ebnet das Museum Küppersmühle in Duisburg schon mal mit lehrreichen Interviewfilmen den Weg in ihr komplexes Werk
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17.02.2021
Vielleicht sollte man Hanne Darboven als eine große Versteckspielerin begreifen. So wie sie sich selbst verbarg, um als Künstlerin abseits der Öffentlichkeit auf einem alten Gutshof in Hamburg-Harburg zu arbeiten, so hat sie nach der Welt gegriffen und diese in ihrer Kunst versteckt. Auf den ersten Blick wirkt ihr Werk hermetisch geschlossen und spröde: Ganze Wände hat sie mit langen Reihen gerahmter Blätter gefüllt, die sie mit Wellenlinien und Zahlenkombinationen vollgeschrieben hat. Doch dazwischen finden sich immer wieder Worte, Namen und Bilder, die konkrete Verweise enthalten auf die Realität, das Leben und das Verrinnen der Zeit. Diesen Spuren gilt es zu folgen.
Wer sich versteckt, braucht Menschen, die einen suchen. Ein solcher Sucher und Finder ist Walter Smerling, Direktor des Museums Küppersmühle in Duisburg. Er hat dort die Ausstellung „Hanne Darboven – Der Regenmacher“ kuratiert, die einem das Werk der 1941 zufällig in München geborenen, in Wahrheit jedoch urhanseatischen Künstlerin auf exemplarische Weise nahebringt. Zwar kann man die Schau aufgrund des Lockdowns noch nicht besuchen, doch gewähren auf der Webseite des Museums schon jetzt mehrere YouTube-Filme einen tieferen Einblick in das Leben und die Kunst von Hanne Darboven.
Walter Smerling ist durchaus berühmt für sein Kommunikationsgeschick. Schon der zwölfminütige Einstiegsfilm zur Ausstellung ist sehenswert, zu dem er die ARD-Wettermoderatorin Claudia Kleinert eingeladen hat. Gemeinsam lesen die beiden auf einem der 38 Indexblätter des Werks „Der Regenmacher“ (1985) das handschriftliche Wort „Gable“ – natürlich stellvertretend für Clark Gable – und darunter die Zahl 78. Sogleichen machen sich Kleinert und Smerling auf die Suche, wandern die 1386 gerahmten Hauptseiten der monumentalen Arbeit ab und entdecken schließlich auf einem Blatt mit der Zahl 78 eine Fotografie des berühmten US-Schauspielers. So spielerisch wird der Weg ins Werk eröffnet, das System der endlosen Querverweise vor Augen geführt.
Was es die Künstlerin antreibt, bringt Smerling in dem dreiviertelstündigen Dokumentarfilm „Hanne Darboven – Mein Geheimnis ist, dass ich keins habe“ von 1991, der ebenfalls in Gänze auf der Museums-Webseite zu sehen ist, auf den Punkt: „Ihr Anliegen ist ihre Arbeit, ihre Arbeit ist ihr Leben: die Bewältigung der Wirklichkeit“, erklärt der Kurator. Wie diese Wirklichkeitsbewältigung aussehen kann, zeigt exemplarisch der Werkzyklus „Ansichten ,85‘: Hamburg – New York“ aus den Jahren 1984/1985. In 53 gereihten Tafeln sind stets in den oberen Dritteln Ansichten von Harburg, in den Dritteln darunter Fotografien und Postkarten aus New York und schließlich die Blätter eines Wochenkalenders zu sehen. Letztere hat Darboven mit ihren typischen Quersummenberechnungen gefüllt, die die Tage eines ganzen Jahres in Ziffernkombinationen codieren.
In „Ansichten ,85‘“ verweist die Künstlerin zum einen auf ihr eigene Existenz zwischen Hamburg und New York – von 1966 bis 1968 lebte sie in Manhattan, ein Aufenthalt, der ihre Kunst nachhaltig beeinflusste. Zum anderen dokumentiert Darboven mit ihren Berechnungen und Ziffernfolgen auch den konkreten Verlauf eines Jahres. „Indem sie die Zeit durchschreibt, macht sie die Zeit sichtbar“, sagt Smerling im Einführungsfilm über Darbovens Arbeitsprinzip.
Schön ist, dass die versammelten Stimmen zur „virtuellen Eröffnung“ der Schau vielfältig sind. In mehreren Kurzinterviews kommt der in Wuppertal lebende Bildhauer Tony Cragg zu Wort, der die 2009 verstorbene Darboven schätzt und berichten kann, dass diese schon während seines Studiums in England, Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre einen gewissen Namen hatte: „Sie gehörte für uns zu einer Gruppe der großen konzeptuellen-minimalistischen Künstlerinnen und Künstler in dieser Zeit“, sagt Cragg. Interessanterweise bezweifelt er auch ein bisschen Darbovens Inszenierung als selbstgewählte Eremitin: „Es steht immer in den Dokumentationen, dass sie zwei Jahre lang allein in New York lebte. Aber am Ende war sie Teil einer Gesellschaft mit Carl André und Sol LeWitt. Es kann nicht sein, dass sie das nicht wollte. Sie hat das gesucht.“ Zum Versteckspielen gehört eben auch, dass man sich finden lässt.
„Hanne Darboven – Der Regenmacher“
MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg
Virtuell eröffnet unter stiftungkunst.de.