Das Deutsche Ledermuseum in Offenbach ist endlich wieder geöffnet und widmet sich in der Ausstellung „Tierisch schön?“ kritisch der eigenen Sammlung
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16.03.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 178
Ist das schön, wenn an der Krokoledertasche noch der Kopf des jungen Alligators hängt, der seine Haut für das Accessoire lassen musste? In den 1970er-Jahren, als die Handtasche gefertigt wurde, war die Antwort ein ziemlich vorbehaltloses Ja. Zwei Jahrzehnte später, als die Organisation Peta mit dem Sammeln von Pelzen begann, wollte sie damit hingegen nicht ihr Outfit aufwerten: Das Fell sollte als künftiges Demonstrationsobjekt für die teils qualvolle Zucht von Nerzen, Füchsen oder Chinchillas dienen. Heute hängt im Deutschen Ledermuseum in Offenbach ein Mantel aus faux fur, dessen Leopardenzeichnung so echt ist wie die auf der Plastiktüte daneben – und am Ende als Kleidungsstück ähnlich schwer zu entsorgen.
Jede Zeit hat ihre Antworten auf komplexe ethische Fragen. Im Offenbacher Ledermuseum mit seiner singulären Sammlung von gut 30 000 Objekten laufen sie in der Ausstellung „Tierisch schön?“ zusammen. Es ist die erste Schau von Inez Florschütz, seit 2014 Direktorin des Hauses, die angewandte und ethnologische Exponate mit zeitgenössischer Kunst zusammenbringt. Da steht der „Cake Stool“ der brasilianischen Campana Brothers, ein Sessel, der sich aus miteinander vernähten Plüschtieren zusammensetzt. Etwas weiter hängt ein Mantel aus Pythonleder, wie er perfekt zu David Bowie oder Prince gepasst hätte. Aber spricht ihn das von der Frage frei, wie es sich mit der Beziehung des Menschen zum Tier als buchstäblich hemmungslos ausschlachtbarem Produkt verhält?
Die Ausstellung schließt an aktuelle Debatten an, indem sie die eigenen Bestände befragt. Erwachsen sind sie aus der Geschichte Offenbachs, ihrer Vergangenheit als florierender Stadt für Lederverarbeitung, und einer Sammlung vorbildhafter Objekte für die Designer, die an der renommierten Hochschule für Gestaltung Offenbach ausgebildet wurden. Taschen, Koffer, Ledervasen und Schuhe durch sämtliche Epochen und Geschmackszonen. Einiges mutet aus heutiger Sicht makaber an, selbst wenn es ästhetisch überzeugt. Ein Künstler wie Marcel Walldorf bringt diesen Zwiespalt auf den Punkt, wenn er für seine Skulptur „St. Bernetto“ von 2020 einen ausgestopften Hund in eine Zweithaut aus Porzellan zwängt, unter der das Präparat an diversen Stellen durchdringt.
Die ausgestellten Werke changieren, und Florschütz, die das Haus seit ihrem Antritt thematisch völlig neu gestaltet, fügt diesem Widerstreit noch ein paar Provokationen hinzu. Mit Artefakten aus dem Kongo, deren tierische Zutaten, etwa eine Löwenmähne oder ein Pavianpelz, virile Macht symbolisierten. Und mit Objekten wie einer Handyhülle in Form eines Elefantenkopfs oder indischen Zehenpflocksandalen aus dem 19. Jahrhundert, deren Sohlen die Form von Fischen haben. Beides dokumentiert den Wunsch des Menschen, sich mit Tieren zu umgeben – wenn auch in kunsthandwerklich domestizierter Form. Schließlich klammert die Museumsdirektorin weder junge, internationale Gestalter aus, die mit Leder arbeiten, noch Ikonen der Modewelt wie Stella McCartney, deren Kollektionen ausschließlich aus nicht tierischen Materialien bestehen. Florschütz hat das Haus voll Leder, doch sie nutzt ihren Fundus, um gewappnet und relevant für das 21. Jahrhundert zu sein.