„Slavery“ im Rijksmuseum

Geschichte der Gewalt

Mit einer bahnbrechenden Schau zur Sklaverei wirft das Rijksmuseum in Amsterdam einen postkolonialen Blick auf die eigene Sammlung

Von Tim Ackermann
09.03.2021
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 182

Was sehen wir, wenn wir ein Bild betrachten? Im „Porträt von Marten Soolmans“ aus dem Jahr 1634 sehen wir einen Mann, der in kostspieliger Garderobe posiert. Mit ausgewählten Details wie dem Spitzenkragen oder den Spitzenrosetten auf seinen Schuhen beweist er Gespür für die Mode seiner Zeit. Nicht weniger prachtvoll ist das Bildnis seiner frisch angetrauten Frau Oopjen Coppit ausgefallen. Zum Zeitpunkt des Malens sind die beiden gerade Anfang zwanzig. Bemerkenswert jung also, um als Ganzfigur im Bildrahmen zu erscheinen – die höchste repräsentative Form des Porträts, die noch wenige Generationen zuvor Regenten vorbehalten war. Wir sehen in den Bildern ein Paar, das seine Ambitionen in der Gesellschaft demonstriert.

Als das Amsterdamer Rijksmuseum und der Pariser Louvre die beiden Gemälde im Jahr 2015 für 160 Millionen Euro gemeinschaftlich ankauften, wurde in den Meldungen besonders betont, dass der Schöpfer der Porträts der berühmte Maler Rembrandt war und dass diese zuvor im Besitz der Rothschild-Familie gewesen waren. Vergleichsweise wenig las man über das Leben von Marten Soolmans und Oopjen Coppit. Mittlerweile hat das Rijksmuseum jedoch die Biografien gut erforscht: Marten war der Sohn von Jan Soolmans, einem reichen Händler, der in Amsterdam eine große Zuckerraffinerie mit dem bemerkenswerten Namen ’t Vagevuur („Fegefeuer“) besaß. Der Zucker, den die ­Raffinerie verarbeitete, wurde in Südamerika von Sklaven angebaut. Die Soolmas’ waren damit Profiteure der Sklaverei – eine Tatsache, die im Porträt des jungen Marten verborgen bleibt.

Slavery Rijksmuseum Rembrandt
Marten Soolmans und Oopjen Coppit, die Rembrandt im Jahr 1634 porträtierte, profitierten von der Sklaverei in Südamerika. © Rijksmuseum, Amsterdam

Mit „Slavery“ betritt das Rijksmuseum in diesem Frühjahr beachtenswertes Terrain: Erstmals in der Geschichte des Hauses sind die Kunstschätze auf ihre Verbindungen zum Sklavenhandel untersucht worden, und die Ergebnisse dieser Recherche werden jetzt in einer Ausstellung präsentiert. Vor fünf Jahren sei der Direktor Taco Dibbits mit der Idee zur Forschungsabteilung gekommen, erzählt Eveline Sint Nicolaas, Senior-Kuratorin für Geschichte am Rijksmuseum. Auslöser sei ein Gespräch mit Freunden aus England gewesen, die ihn nach der Rolle der Holländer im Sklavenhandel gefragt hätten. „Heute bekommt das Thema viel Aufmerksamkeit“, sagt Sint Nicolaas, „jedoch hat in den Niederlanden lange die Auffassung geherrscht, Sklaverei sei etwas gewesen, das weit entfernt stattgefunden habe. Im Vergleich mit Großbritannien liegen wir in der Beschäftigung mit der eigenen Kolonialgeschichte zurück.“

Das Goldene Zeitalter nährte sich vom Blut und Schweiß der Zwangsarbeiter

Tatsächlich waren die Niederlande über zwei Handelskompanien direkt mit dem Sklavenhandel verbunden, das ist im ausgezeichneten Ausstellungskatalog nachzulesen: Die 1602 gegründete Niederländische Ostindien-Kompanie schuf den bürokratischen Apparat für die Verschleppung von mindestens 660.000 Menschen im Raum des Indischen und Pazifischen Ozeans. 1621 wurde dann die Niederländische Westindien-Kompanie geschaffen, die selbst als Menschenhändler tätig war und auf eigenen Schiffen mehr als 300.000 Sklaven gewaltsam von Afrika nach Nord- und Südamerika transportierte.

Die Blüte des holländischen Goldenen Zeitalters nährte sich vom Blut und Schweiß der Zwangsarbeiter in den Kolonien. Zeitgenössische Quellen schätzten im 18. Jahrhundert, dass fast jeder Arbeiter in Amsterdam direkt oder indirekt vom Kolonialhandel abhing. Diese Zusammenhänge seien im Rijksmuseum lange nicht gesehen worden, sagt Eveline Sint Nicolaas: „Es war uns immer bewusst, dass die Sammlung zu einem wesentlichen Teil eine gesellschaftliche Elite der Provinz Holland in einer bestimmten Zeit abbildet. Allerdings haben wir nicht bemerkt, dass sie auch Objekte enthält, die direkt auf den Sklavenhandel verweisen.“ Eine mit Gold und Schildpatt verzierte Schatulle etwa, die die Niederländische Westindien-Kompanie 1749 dem Erbstatthalter Wilhelm IV. von Oranien überreichte, zeigte das Rijksmuseum mit einem Hinweis auf den Rokokostil. Keine Erwähnung fand in der Beschilderung, was in einigen Verzierungen zu sehen war: Sklaven und Orte an der afrikanischen Küste, die für den Sklavenhandel wichtig waren. „Wir haben nicht genau genug hingesehen“, meint Sint Nicolaas.

Slavery Rijksmuseum Schatulle
Die verzierte Schatulle aus dem Jahr 1749 zeigt Szenen des Menschenhandels der Niederländer. © Rijksmuseum, Amsterdam

Im Rahmen von „Slavery“ erhalten nun rund 70 Exponate der ständigen Präsentation für ein Jahr lang eine zusätzliche Beschilderung, die auf die Verbindung zum Sklavenhandel hinweist. In den Räumen der Sonderschau werden zudem Preziosen des Goldenen Zeitalters mit neuen Objekten der Sammlung konfrontiert – wie einem Holzblock, der als Fußfessel für Sklaven diente, oder einem „kappa“, einem eisernen Kessel, in dem auf Plantagen Zuckerrohrsaft für den Transport eingekocht wurde. Nach der Schau sollen auch diese Stücke Teil der Dauerpräsentation werden.

Zehn wahre Lebensgeschichten

Konzipiert ist die Sonderausstellung zudem als Erzählung von zehn erstaunlich gut dokumentierten Lebensgeschichten. Ein Kapitel handelt von Oopjen Coppit, die nach dem frühen Tod von Marten Soolmans in zweiter Ehe einen Mann heiratete, der in Brasilien als Soldat gedient und dort 1632 eine Afrikanerin gekidnappt und vergewaltigt hatte, ohne bestraft zu werden. Wir erfahren von Surapati, der 1665 im Hintergrund eines Gruppenporträts von Jacob Coeman als Sklave auftauchte und später als Widerstandskämpfer in Indonesien zur Legende wurde. Besonders ergreifend ist das Schicksal von Wally, einem Sklaven aus Surinam, der 1707 in einen Streit mit dem Plantagenaufseher geriet und zur Strafe mit glühenden Zangen gefoltert und lebendig verbrannt wurde.

Beteiligt an dem Streit war damals auch der Maler Dirk Valkenburg, der den Auftrag hatte, die Plantagen des Besitzers Jonas Witsen im Bild zu dokumentieren. Das Rijks­museum bewahrt einige seiner Landschaftsansichten, die entweder menschenleer sind oder die Plantagenarbeiter nur als Winzlinge in der Staffage zeigen. „Jetzt, da ich Wallys Geschichte so gut kenne, betrachte ich Valkenburgs Bilder mit anderen Augen“, sagt Eveline Sint Nicolaas. Und wird durch diese Ausstellung nun auch das Publikum das Rijksmuseum in einen anderen Licht sehen? „Ja, das hoffe ich, und das glaube ich“, antwortet die Kuratorin.

Service

AUSSTELLUNG

„Slavery. Ten True Stories“

Rijksmuseum, Amsterdam

18. Mai bis 29. August 2021

Hier gibt es die Ausstellung online zu entdecken.

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