In Berlin eröffnet das „Haus des Papiers“ : Ein privates Museum, das zeigen will, wie aktuell und vielseitig der skulpturale Umgang zeitgenössischer Künstler mit dem Material ist
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28.05.2021
Auf zwei Böcken und einer Tischplatte liegen Steine. Helle, vom Wasser geschliffene Kiesel vielleicht, denkt man von weitem, aber eigentlich sind sie dafür zu groß. Doch das fein Polierte, dieses Signal an Auge und Hand, weckt Assoziationen, die sich nicht einfach ignorieren lassen: Die Objekte strahlen eine ungeheure Sinnlichkeit aus.
Schauen sei erlaubt, meint Annette Berr. Wer sie dazu auch anfassen möchte, den wird das Personal im neuen „Haus für skulpturale Papierkunst“ ermahnen müssen. Denn trotz ihrer harten, glänzenden Oberflächen bestehen die Objekte von Goekhan Erdogan aus zartem Papier. Schichten, verleimen, pressen, schleifen – das sind die Schritte des in Frankfurt lebenden Künstlers, um zu solchen Arbeiten zu gelangen. Der Prozess ist nachvollziehbar und keine Alchemie. Dennoch erstaunt einen ihre Massivität, die im Kontrast zu vielen anderen Werken in diesem jungen Privatmuseum steht.
Auf 170 Quadratmetern breitet es sich in Berlin aus. In Mitte, nah an der Leipziger Straße und in Räumen, in denen zuvor eine Galerie war. Es klingt nach mäßig viel Platz, doch die wenigsten Objekte wuchern oder brauchen ähnlich viel Wand wie das raffinierte Bild von Christiane Feser. Es handelt sich um eine mehrfach überarbeitete Fotografie mit Schnitten und abstrakten, wabenartigen Strukturen, bei denen man schnell nicht mehr weiß, was erhaben über der Fläche steht und was illusionär ist. Feser verdankt sich – mehr oder weniger – auch das ambitionierte Projekt: Vor knapp drei Jahren entdeckten Berr und Ul Vohrer auf einem Gang über die Messe Paris Photo eine ihrer komplexen Arbeiten. Und obwohl die beiden Berliner Unternehmerinnen selbst in dem Metier tätig sind und für internationale Künstler Papierarbeiten auf höchstem drucktechnischen Niveau realisieren, waren sie von der Komplexität wie Wirkung jenes Bildes geflasht.
Von hier aus reifte der Entschluss, einen festen Ausstellungsort für den skulpturalen Umgang mit Papier zu etablieren. Den ersten seiner Art, der sich ausschließlich dem einen Medium widmet. „Skulpturale Papierkunst ist so viel mehr als Origami“, meint Annette Berr scherzhaft und weist mit einer ausladenden Geste durch die offene Architektur des Hauses, das gerade im kleinen Kreis seine Eröffnung feiern konnte und ab dem 28. Mai dann allen offensteht. Die aktuelle Schau bestreiten neben Erdogan, Wolf Vostell oder Lars Eidinger Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel, Monica Bonvicini, Annegret Soltau oder Katharina Hinsberg, die schon immer mit großer Akribie kleinste Fenster in ihre Papiere schneidet, bis diese geradezu perforiert sind. Dass auch Leiko Ikemura teilnimmt, mag im ersten Moment verwundern, weil man von ihr Arbeiten auf Leinwand oder aus Ton kennt. Berr und Vohrer baten sie darum, ihre liegenden Frauenköpfe in Papier auszuprobieren: Tatsächlich ruht nun eine weiße, zarte Maske auf dem Sockel, die die feine Stofflichkeit von Porzellan besitzt.
Um die Ausweitung der Papierzone kümmert sich das Duo schon länger. Seit vier Jahren gibt es eine „Paper Residency“, jeweils vier von einer Jury ausgewählte Stipendiaten können einen Sommer lang in ihren temporären Berliner Ateliers mit dem Material experimentieren. Außerdem wurde ein mit 36.000 Euro dotierter Preis für Papierkunst ins Leben gerufen, der 2020 auf der Berliner Kunstmesse Paper Positions vorgestellt und von diversen Arbeiten gerahmt wurde, die während der Stipendien entstanden sind. In diesem Jahr soll der Award, wieder auf der Paper Positions im Herbst, an drei künstlerische Positionen vergeben werden.
Nicht alles, was einen im Haus des Papiers begegnet, gehört zur eigenen Sammlung. Da sind die Leihgaben der Künstler und Künstlerinnen darunter, so wie ein Buch von Erwin Wurm, dessen Arbeit sich erst entfaltet, wenn der – immerhin auf Papier gedruckte – Text im Kanon gesprochen wird. Und auch die Entscheidung, dass sich alle Stipendiaten für ihren Aufenthalt mit einer Arbeit revanchieren, die in den Besitz des Museums übergeht, ist relativ jung und wird das Depot erst mit der Zeit wachsen lassen. Aber schon jetzt staunt man über all die Ideen im Umgang mit dem Material, mit denen das Papier nach allen Seiten kreativ ausfransen darf.
Haus des Papiers, Seydelstraße 30/Ecke, Elisabeth-Mara-Straße, 10117 Berlin, Fr-So 10 bis 17 Uhr, www.hausdespapiers.com