Amtsalon Berlin

Freispruch für die Kunst

Das ehemalige Amtsgericht in Berlin-Charlottenburg wird zum temporären Kunstort, der aus den historischen Räumen seinen besonderen Reiz gewinnt

Von Christiane Meixner
17.06.2021

Laurent Ajina hat sich nicht lange mit der Frage aufgehalten, wo er seine Kartonbilder aufhängen soll. Stattdessen ist der Künstler aus Paris direkt mit der schwarzen Tusche auf die weiße Wand gegangen. Die konstruktive Zeichnung beginnt an einer Ecke, breitet sich im obersten Stockwerk des Treppenhauses aus und kriecht noch ein Stück die Treppe hinunter. Dort zeigen andere Galerien als Crone ihre Künstlerinnen und Künstler, doch Ajinas freundlicher Übergriff wird toleriert und steht symbolhaft für die Kooperation im „Amtsalon“: Auf vier Etagen sind 24 Berliner Galeristen – darunter KOW, Esther Schipper, Daniel McLaughlin oder Guido W. Baudach – der Einladung gefolgt, das ehemalige Amtsgericht von Charlottenburg zum temporären Kunstort zu machen. Eine Veranstaltung, die parallel zum zweiten Teil des Gallery Weekends Berlin stattfindet, für das an diesem Wochenende noch einmal alle beteiligten Galerien öffnen. Es gibt Überschneidungen, doch zusammen wird daraus ein Berliner Event at its best: ungewöhnlich und überraschend.

Amtsalon Sibylle Bergemann
Die Galerie Kicken Berlin stellt Modeaufnahmen wie Sibylle Bergemanns „Marisa und Liane“ (1981) aus. © Estate of Sibylle Bergemann; Ostkreuz; Courtesy Kicken Berlin

Das Gerichtsgebäude ist längst in privater Hand, es gehört den Architekten Grüntuch Ernst. Im ehemaligen Frauengefängnis im Hinterhof ist ein Boutique-Hotel entstanden, das irgendwann nach den Corona-bedingten Einschränkungen als Familienbetrieb öffnen wird. Das historische Gericht mit seinem imposanten Treppenhaus soll dagegen einer kulturellen Nutzung vorbehalten sein, Almut Grüntuch-Ernst und Armand Grüntuch schweben Ausstellungen, Podien, Literatur- und Designthemen für das Haus vor, das sie gerade nutzbar gemacht haben: Das Muffige der einst amtlichen Anstalt schwebt noch in den Räumen, und so wundert es kaum, dass sich die Kunst an dieser Atmosphäre abarbeitet.

Wo früher die Richter thronten, installierte die Galerie Mehdi Chouakri eine der glamourösen Arbeiten von Sylvie Fleury, davor stehen zwei Skulpturen von Saâdane Afif. Im angrenzenden Büro hängen Arbeiten von Ruth Wolf-Rehfeldt. Ihre Zeichnungen sind als konkrete Poesie an der Schreibmaschine entstanden, die Galerie Chert Lüdde ergänzt sie nun um frühe, lange nicht gezeigte Malerei der 1932 geborenen Künstlerin. Foto-Expertin Annette Kicken stellt in „ihrem“ Raum einen Berlinbezug mit Modeaufnahmen von Sibylle Bergemann wie Helmut Newton her, die Galerie Friese kontrastiert die artifiziellen Schwarz-Weiß-Bilder mit abstrakter, bewusst unperfekter Malerei von Franziska Holstein und fein ausbalancierten Skulpturen der argentinischen Bildhauerin Claire de Santa Coloma.

Amtsalon Hélène Fauquet
Der wohl jüngste teilnehmende Galerist Hannes Schmidt von Schiefe Zähne präsentiert Hélène Fauquets „tourniquet“ (2020) und „Monochrome“ (2020) in einem kabinetthaften Raum. © Courtesy: Hélène Fauquet and Schiefe Zähne, Berlin

So geht es weiter im Pop-up-Auftritt von Etage zu Etage: Die Berliner Galerienszene präsentiert sich von ihrer besten Seite, zeigt exzellente Werke und scheut auch nicht gemeinsame Auftritte, in denen sich die künstlerischen Positionen miteinander mischen. Bei Kristian Jarmuschek schafft der dänische Maler Troels Carlsen in der Tradition der Pop-Art Collagen aus Tierdarstellungen und riesigen Erdbeeren, seine Schmetterlinge finden ihre Entsprechung in einer monumentalen Zeichnung eines Monarchfalters von Andrea Bowers, den die Galerie Capitain Petzel im selben Raum zeigt. Die Galerie Haverkampf präsentiert vier große Gemälde diverser Künstlerinnen und Künstler, für das Arrestbild von Okka-Esther Hungerbühler war da kein Platz mehr im relativ schmalen Zimmer. Kein Problem, entschied der wohl jüngste teilnehmende Galerist Hannes Schmidt von Schiefe Zähne und stellte eine Wand seiner eigenen Ausstellungsfläche im Flur zur Verfügung. Er selbst konzentriert sich auf einen kabinetthaften Raum, in dem etwa die Bilder von Hélène Fauquet besonders gut wirken: eher kleine Formate, die spiegelnde Flächen suggerieren.

Der Enthusiasmus von „Amtsalon“ – ein neuer Ort, gemeinsame Interessen, die behutsam sanierte Architektur – pflanzt sich bis zum Besucher fort. Das Urteil: unbedingt besuchen!

Service

AUSSTELLUNG

Amtsalon, Berlin

bis 24. Juni mit Zeitfenster

amtsalonberlin.de

Zur Startseite