Die Ausstellung „Andy Warhol Now“ im Kölner Museum Ludwig interpretiert das Werk des Pop-Künstlers neu. Jetzt wird die Schau endlich wiedereröffnet
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01.06.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 184
Er ist der Mann vom Mond. Ein Wiederauferstandener, der nach den Schüssen von Valerie Solanas schon klinisch tot im OP lag, bevor man ihn mit einer Herzmassage zurück in sein exzentrisches Leben holte. Andy Warhol scheint aus dem Nichts gekommen zu sein, die Revolution der Kunst erledigte er mit einem Wimpernschlag.
Das ist natürlich ein Mythos. Und doch zeichnet die isolierte Betrachtung seines Werks mit Brillo Boxes und seriellen Marilyn-Porträts, mit elektrischen Stühlen in Neonfarben oder dem fünfstündigen Video des schlafenden John Giorno das Bild eines von allen Traditionen abgekoppelten Künstlers, der den Pop salonfähig gemacht hat. Auch die Ausstellung „Andy Warhol Now“ im Museum Ludwig in Köln, eine Kooperation mit der Tate Modern, konzentriert sich auf Warhols Werk und operiert mit Schlagworten wie Sex oder Tod. Gleichzeitig setzt sie die Biografie des 1987 mit nur 58 Jahren verstorbenen Künstlers, seine Vergangenheit als Kind slowakischer, strenggläubiger Einwanderer genau wie sein Schwulsein dagegen, um zu entschlüsseln, wie er zu seinen Motiven kam. Der Blick fällt auch auf das künstlerische Klima im New York der Fünfzigerjahre, das vom abstrakten Expressionismus ebenso dominiert war wie vom virilen Selbstbewusstsein eines Jackson Pollock, der ähnlich intensiv an seinem Ruf als Monomane arbeitete wie an der eigenen Selbstzerstörung.
Warhol, lautet eine These der opulenten Kölner Schau mit über hundert Werken, verkörperte den Gegenentwurf. Er favorisierte das Team und versammelte möglichst viele kreative, interessante Menschen in seiner Factory. Wer immer das Atelier betrat – darunter zahllose Prominente wie Dennis Hopper, James Rosenquist oder Bob Dylan –, auf den richtete der Künstler stumm und unerbittlich drei Minuten lang die Kamera. Daran erinnert die Ausstellung eingangs, wo über 500 dieser „Screen Tests“ parallel laufen. Ein Experiment, das Film und Kunst miteinander verschränkte. Und ein Dokument von Warhols großer Popularität in New York.
In Köln folgt auf diese mediale Ouvertüre ein chronologischer Abriss mit auch weniger bekannten Arbeiten – seinen frühen homoerotischen Zeichnungen, die der Künstler ungewohnt diskret behandelte, oder die 1975 entstandene Serie „Ladies and Gentlemen“, für die Dragqueens gecastet wurden. Sie machen sichtbar, wie sehr sich Warhol mit der sexuellen Identität beschäftigt. Sein Schwulsein und seine Religiosität, die ihn sonntags regelmäßig in die Kirche führte; die fast zwanghafte Beschäftigung mit dem Tod plus Warhols verbürgte Schüchternheit bei gleichzeitiger Gier nach Prominenz und Ruhm: Dass seine androgynen Auftritte mit diversen Perücken ebenso in dieser explosiven Mischung wurzeln wie die Verwendung von Vanitassymbolen oder die Ikonisierung von Stars auf goldenem Grund, wird in der Ausstellung geradezu augenfällig.
Gerade weil sie von der typischen Erzählung – der Künstler als Inkubator industrieller Bildproduktion, den eine Unterscheidung zwischen high und low nicht länger interessierte – abweicht und nach den teils widersprüchlichen Koordinaten in Warhols Leben sucht, bietet sie einen anderen Blick. Keine modische, sondern eine von Klischees befreite Perspektive. Drei Jahrzehnte nach der letzten großen Kölner Soloschau tritt Andy Warhol als Künstler auf, der existenzielle Fragen verhandelt. Visionär ist dabei vor allem seine Erkenntnis, dass es neue, populäre Symbole für die alten, ewig wiederkehrenden Themen braucht.
„Andy Warhol Now“,
Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, Köln,
bis 13. Juni 2021