Die facettenreiche Kabinett-Ausstellung „Dressed for success“ zeigt im Maximilianmuseum das singuläre Zeugnis des erfolgreichen Augsburgers Matthäus Schwarz zur Glanzzeit der Reichsstadt
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02.06.2021
Dass sich auch schon unsere Vorfahren beiderlei Geschlechts bewusst – standesbewusst – gekleidet haben, ist auf unzähligen historischen Gemälden durch die Jahrhunderte belegt. Dass die Kirche immer wieder Anlass sah, Hoffart und Eitelkeit anzuprangern, wissen wir aus vielen Quellen. Doch dass ein Jüngling aus besseren Kreisen, und beruflich sozusagen als Hauptbuchhalter Jakob Fuggers des Reichen und Anton Fuggers durchaus erfolgreich, sich über vier Jahrzehnte seine Erscheinung in der neuesten Mode, gleichsam wie in einem Tagebuch präsentierte, verblüfft uns Heutige doch sehr.
Das „klaidungsbuechlin“ des Matthäus Schwarz (1497–1574) beginnt am 23. Geburtstag, dem 20. Februar 1520 mit dem „gemalten Ich“. Von außen unscheinbar, schildern die Miniaturen von Narziss Renner, Christoph Amberger und Jeremias Schemel der postkartenkleinen Pergamenthandschrift dessen Lebenslauf anhand seiner modischen Gewänder. Stolz und selbstbewusst tritt er uns Seite für Seite meist als Ganzfigur bis 1560 gegenüber. Nicht sein eigener Tod 1574, sondern der seines verehrten Chefs Anton Fugger setzt den Schlusspunkt. Davor inszeniert sich Matthäus Schwarz immer elegant gekleidet, auch mal bewaffnet oder mit Laute. Rund 40 Jahre folgt der Betrachter dem Wandel der Person und ihrer oft extravaganten, kostbaren Kleidung, begleitet von seinen eigenen Kommentaren. Buchhalterisch exakt gibt Matthäus Schwarz sein Alter, Jahr, Monat und Tag der einzelnen Darstellung an. Mehrfach erwähnt er den Anlass, zu dem er das Kostüm getragen hat, fügt gelegentlich eine humorvolle Bemerkung hinzu, oder, dass er „gut getroffen“ sei.
Dieses singuläre Zeugnis eines erfolgreichen Augsburgers zur Glanzzeit der Reichsstadt verweilt leider nur vorübergehend an seinem Entstehungsort. Die kostbare Leihgabe des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig ist zur Sonderschau nach Augsburg zurückgekehrt. Wie bei Buch-Miniaturen üblich, kann bestenfalls eine Doppelseite aufgeschlagen werden; ob umgeblättert werden darf, hängt von den vereinbarten Konditionen und dem jeweiligen Erhaltungszustand ab. Wer die Augsburger Ausstellung im Maximilianmuseum besucht, sollte sich vorher im Internet die digitalisierte Version anschauen. Sie bietet das Rüstzeug, die Schau mit Gewinn zu besuchen.
Dem Augsburger Museumsgänger sind viele Exponate aus den Dauerausstellungen vertraut. Hier werden sie lebendig durch ihren direkten Bezug zu Matthäus Schwarz. Er erscheint 1508 als eines der 31 aus drei Ehen hervorgegangenen Kinder auf dem Votivbild seines Vaters Ulrich Schwarz aus der Basilika St. Ulrich und Afra. Der gleichnamige Großvater bescherte der Familie eine unrühmliche Vergangenheit, denn selbst einst Bürgermeister, wurde er wegen Willkür gegen die Patrizier 1478 gehängt.
Dass Matthäus ein künstlerisches Auge hatte, verrät sein grafisch virtuos gestaltetes lateinisches Signet, das übersetzt lautet: „Jedes Warum hat sein Weil“. In flammendes Orangerot gewandet, nahm unser Protagonist an den Hochzeits-Festivitäten seines Chefs Anton Fugger teil, anlässlich derer sämtliche Bedienstete mit Festtagskleidung ausgestattet wurden. Damals war Matthäus Schwarz „30 jar 12 tag“ alt. Das Ehepaar Fugger ist auf zwei Bildnismedaillen von Friedrich Hagenauer zu sehen. Generell lernt man viele für Augsburg bedeutende und mit Schwarz in Kontakt stehende Persönlichkeiten auf Stichen, Medaillen oder Spielsteinen kennen. So die Wittelsbacher Herzöge, Jakob Fugger den Reichen, den Humanisten, Stadtschreiber und Juristen Konrad Peutinger, dessen liberale Wirtschaftsethik er in einer Handschrift im Pergamenteinband von 1526 zur Monopolfrage und zu den Handelsgesellschaften darlegt.
Dass die Honoratioren der Stadt tatsächlich so oder ähnlich gekleidet waren, wie Matthäus Schwarz sich in seinem klaidungsbuechlin darstellen hat lassen, zeigen monumentale Gemälde wie Heinrich Vogtherrs „Rathausplatz im Winter“ um 1542, ein „Tanzbild“, das die meisten Dargestellten in einer Beischrift namentlich aufführt, sowie spätere „Augsburger Geschlechtertanz“-Gemälde. Denn vom frühen 14. bis ins späte 16. Jahrhundert zählten die Geschlechtertänze zu den wichtigsten gesellschaftlichen Ereignissen der Reichsstadt. Wie modisch sich die Augsburger Hautevolée aufputzte, ist bis ins Detail zu studieren.
Veit Konrad Schwarz, der Sohn unseres Protagonisten, war wie der Vater in der „Goldenen Fugger-Schreibstube“, der Herzkammer der Fugger-Zentrale, beschäftigt. Und beide wurden von Anton Fugger testamentarisch großzügig bedacht. Auch Veit Konrad legte in den 1560er vorübergehend ein persönliches Kleiderbuch mit Miniaturfigurinen Jeremias Schemels an. Letztendlich stand es wie das bedeutendere des Matthäus Schwarz in der Tradition sogenannter Hofkleiderbücher. Stellvertretend sei jenes der bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Albrecht V. von einem Münchner Künstler von 1508 bis 1551 mit vier Kostümfigurinen pro Seite in Aquarell und Deckfarben zwischen Begleittexten genannt. Dass die Kirche gegen solche vermeintlichen Eitelkeiten wetterte, belegen karikierend bebilderte Schriften wie Andreas Musculus’ 1556 gedruckte „Vom Hosen Teuffel“ oder jenes 1581 erschienene Büchlein „Wider den Kleider/Plunder/Pauß und Krauß Teuffel“ des Pfarrers Johannes Strauß mit ballonartigen Pluderhosen und -ärmeln. In die geschneiderten Rekonstruktionen einer kostbaren Seiden-Nerz-Schaube oder den roten Seidendamast-Outfit nach einer Matthäus-Schwarz-Figurine möchte man gern hineinschlüpfen, bekrönt mit dem Straußenfeder-geschmückten Seidenbarett. Echte historische Museumsstücke sind hingegen ein Lederbeutel mit Posamenterie-Dekor sowie das Paar erst jüngst auf dem Dachstuhl der Kirche St. Anna entdeckten Hornschuhe aus dem 16. Jahrhundert.
Doch wie ging Süddeutschland mit dem in der Antike gefeierten Akt um? Nackt lag das Jesuskind in der Wiege. Albrecht Dürer hat „Adam und Eva“ auf seinem Kupferstich 1504 als ganzfigurige Akte dargestellt. Vor 1537 schuf Hans Daucher die Augsburger Brunnenfigur des Neptun: die früheste lebensgroß gegossene öffentlich aufgestellte Aktfigur der Nachantike nördlich der Alpen. Im Jahr darauf erschien die „Anatomie des weiblichen Körpers“ von Heinrich Vogtherr d. Ä. als aufklappbarer Holzschnitt in Augsburg. Albrecht Dürer, der übrigens mit zwei hinreißenden aquarellierten Federzeichnungs-„Entwürfen zu einer Hoftracht“ bezaubert, hat sich selbst schonungslos nackt gezeichnet. Auch unser Matthäus Schwarz hatte keine Scheu, sich am 1. Juli 1526 pudelnackt von vorne und hinten in seinem klaiderbuechin verewigen zu lassen, mit dem selbstkritischen Kommentar „ich ward feist und dick“ worden.
Die facettenreiche Kabinett-Ausstellung bietet mit über 160 ganz unterschiedlichen Exponaten einen erhellenden Einblick in die einstige Reichsstadt von europäischer Bedeutung. Matthäus Schwarz ragt als selbstbewusster Bürger im Umfeld der weltläufigen Fugger heraus.
„Dressed for Success. Matthäus Schwarz. Ein Augsburger Modetagebuch des 16. Jahrhunderts“
Maximilianmuseum, Augsburg
bis 13. Juni, Katalog 24,80 Euro