„Epic Iran“ in London

Ornament und Offenbarung

In der Ausstellung „Epic Iran“ erzählt das Victoria & Albert Museum in London die bewegte Geschichte der persischen Hochkultur

Von Peter Dittmar
16.06.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 185

Ist Persien ein Phantom? Jenes Land zwischen Kaukasus und dem Golf von Oman mit der Türkei, dem Irak, mit Turkmenistan und Afghanistan als Nachbarn? Jenes Reich, das sich um 500 v. Chr. unter dem Großkönig Dareios I. vom Indus im Osten bis zu den Mittelmeeranrainern Libyen, Phrygien, Mazedonien ausdehnte? Das seit dem 7. vorchristlichen Jahrtausend von den unterschiedlichsten Völkerschaften bewohnt, erobert, beherrscht wurde? Das immer wieder in zahlreiche Lokaldynastien­ zerfiel? Und das erst unter den Safawiden im 16. Jahrhundert die Konturen gewann, die es weitgehend heute noch begrenzen? Ist der Name für dieses Land, das nicht nur Perser bewohnen, eine Zumutung – wie Reza Khan meinte, der sich 1926 zum Reza Schah Pahlavi gekrönt hatte? Und der deshalb 1935 verfügte, künftig sei es offiziell nicht mehr Persien, sondern Iran, „Land der Arier“, zu nennen – eine alte Bezeichnung aus den ersten Tagen der Besiedlung. In diesem Sinne hat auch das Victoria & Albert Museum in London seine große Ausstellungserzählung von den frühesten Schriftzeugnissen bis zur Kunst der Gegenwart „Epic Iran“ genannt.

Als Wien und Bonn im Jahr 2001 unter dem Titel „7000 Jahre persische Kunst“ die Grabungsfunde vom Neolithikum bis zum Beginn der Islamisierung ausstellten und als gut eineinhalb Jahrzehnte erneut in der Bonner Bundeskunsthalle der erzählerische Bogen von der archaischen Zeit bis etwa 500 v. Chr. gespannt wurde, konnten sich die Kuratoren allein auf Leihgaben aus dem Nationalmuseum in Teheran stützen. Auf solche muss das Victoria & Albert Museum nun verzichten. Denn derartige Ausstellungen, die das Selbstbewusstsein einer Nation tangieren, vermögen sich nicht von aktuellen politischen Querelen frei zu halten. Und an denen mangelt es im Umgang mit dem Iran nicht. Damit musste man sich jetzt in London abfinden, obwohl nach Verhandlungen, die sich über Jahre hingezogen hatten, rund 50 Leihgaben, vor allem aus der Bronze- und Eisenzeit, eigentlich zugesagt worden waren.

Epic Iran Armreif
Der goldene Armreif wurde zwischen 500 und 330 v. Chr. geschaffen und im 19. Jahrhundert an den Ufern des Flusses Oxus entdeckt. © Victoria and Albert Museum, London

Nun präsentiert die Schau zunächst das, was das Museum selbst besitzt. Neben Rüstungen und Metallarbeiten aus der Herrschaftszeit der schiitisch-islamischen Safawiden (1501–1722) ist das zum Beispiel auch der goldene Armreif mit den Greifenköpfen aus dem sogenannten Oxus-Schatz. Das Schmuckstück entstand wohl, bevor die Achämeniden-Herrschaft mit dem Sieg Alexanders des Großen über Dareios III. im Jahr 330 v. Chr. endete. Viele Teile des am Ende des 19. Jahrhunderts vermutlich am Fluss Oxus (heute Amudarja) gefundenen Schatzes gingen durch mehrere Hände und wurden schließlich 1897 dem British Museum gestiftet. Einige dieser Objekte sind nun für die Ausstellung ausgeliehen, darunter das goldene Modell eines von vier Pferden gezogenen Streitwagens mit zwei Kriegern. Außerdem wechseln zahlreiche Münzen aus den Jahrhunderten vor der Zeitenwende temporär von ihren Vitrinen im Stadtteil Bloomsbury in das unweit gelegene Kensington – und auch den berühmten Kyros-Zylinder kann das ­British Museum übergangsweise ent­behren: Auf diesem walzenförmigen Ton­zylinder rechtfertigte Kyros der Große, seit 559 v. Chr. der erste König der Achämeniden, nachträglich seine Machtübernahme in akkadischer Keilschrift.

Auch das Ashmolean Museum in Oxford hat frühe Keramiken und Bronzen ausgeliehen, der Pariser Louvre steuert Tafeln mit Keilschrifttexten, die Hermitage Silberarbeiten aus der Zeit der Sassaniden (224–651) zur Ausstellung bei. Und aus der British Library kommen dekorative Koran-Handschriften und Miniaturen zur großen historischen Erzählungen des „Shahnameh“ (Buch der Könige) des persischen Dichters Firdousi (940–1020) oder zu Gedichten von Hafis (1315–1390). Unter den Blättern ist eine Seite aus einem Manuskript des 16. Jahrhunderts, auf der drastisch die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies ausgemalt wird. Daneben, ein Jahrhundert älter, schildert eine Miniatur, wie der Engel Gabriel den Propheten Mohammed auf dem fantastischen Reittier Buraq – alle mit Gesicht gemalt – dem Erzengel Azrael vorstellt. Das Blatt gehört der Sarikhani Collection, die von einer iranischen Familie im Londoner Exil seit den Neunzigerjahren zusammengetragen wurde und die heute eine der bedeutenden Sammlungen zur Kultur und Kunst Persiens seit 3000 vor Christus ist.

Epic Iran Flasche Schale
Mit persischen Versen verzierte Flasche und Schale (1180–1220). © Victoria and Albert Museum, London

Zu den ungewöhnlichen Stücken aus privatem Besitz zählt der „Boughton-Sanguszko-Teppich“ aus dem späten 16. Jahrhundert. Mit den Figurengruppen in elf Medaillons, umgeben von allerlei Tieren, gehört er zu den seltenen antiken Teppichen mit figürlichen Darstellungen. Außerdem verweisen die Drachen und Phönixe in der Bordüre auf einen chinesischen Einfluss. Den umgekehrten Weg ging, was der gängigen Vorstellung widerspricht, die blau-weiße Keramik. Es gibt Hinweise, dass Kobalt als Unterglasurblau zu der Zeit, als Kublai Khan über die persischen Lande wie über China herrschte, den Weg nach Osten fand – und bald darauf, dem iranischen Geschmack angepasst, wieder gen Westen exportiert wurde.

Solch zeitweiligem wechselseitigen Kulturaustausch stehen Kontinuitäten gegenüber: Von Münzen, nach 400 v. Chr. geprägt, lässt sich ablesen, dass die drei bis fünf Meter lange, beidhändig geführte Lanze sowie Pfeil und Bogen über Jahrhunderte die Waffen der persischen Reiter waren. Das verraten die späten Miniaturen. Dabei fällt auf, dass – anders als in der westlichen und chinesischen Kunst – der Schütze den Bogen nicht mit eingelegtem Pfeil spannt, sondern meist die rechte Hand hinter dem Kopf erhoben hat, weil der Pfeil bereits abgeschossen wurde. Es sind solche scheinbar beiläufigen Momente, die – neben den mit viel Gold und Kunstfertigkeit imponierenden Artefakten – einen Reiz der Ausstellung ausmachen.

In zehn Kapiteln folgt der Parcours von „Epic Iran“ der Chronologie. Nach einer Ouvertüre mit Landschaftsaufnahmen beginnt er mit Kyros dem Großen und den Achämeniden, kommt über Alexanders kurze Herrschaft zu den Seleukiden, Parthern, Sassaniden. Und damit zu jenem Einschnitt, den seit dem 7./8. Jahrhundert die Islamisierung und nach 1501 unter den Safawiden der schiitische Islam als Staatsreligion bilden. Dem Arabischen des Koran und der Poesie, verbunden mit einer exquisiten Buchmalerei, ist ein Kapitel gewidmet. Den Abschluss bildet ein Blick auf die moderne und zeitgenössische Kunst – wobei auffällt, dass von den knapp 30 Künstlerinnen und Künstlern nur 14 im Iran wirkten und wirken, während die anderen in Europa oder Nordamerika leben und arbeiten. Im Katalog werden in einem knappen Text die Gründe – die Re-Islamisierung seit 1979 und das strikte Regime – angesprochen. Um dann mit der „großen Frage“ zu enden: „Was bedeutet es heute, ein Iraner zu sein? Denn nicht nur die Zukunft, auch die Gegenwart ist ungewiss.“

Service

AUSSTELLUNG

„Epic Iran“

Victoria & Albert Museum, London,

bis 12. September 2021

www.vma.ac.uk

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