Durch einen versteckten Hinweis konnte ein Gemälde von Max Pechstein an die Erben Hugo Simons restituiert werden. Eine Ausstellung in Paris widmet sich nun dem Sammler und seinem Bild
Von
22.07.2021
/
Erschienen in
Weltkunst Nr. 188
Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, doch manchmal bewirken gerade kleine Fundstücke große positive Folgen. Etwa Klebezettel auf der Rückseite von Gemälden. Lange hatte sich dafür niemand interessiert, aber seit Provenienzforscher überall auf der Welt nach Kunstwerken fahnden, die jüdischen Familien vom Naziregime geraubt wurden, spielen die versteckten Labels eine entscheidende Rolle. Denn manchmal sind sie die einzigen Indizien, um das Eigentum zu beweisen und den Nachfahren der NS-Opfer zu ihrem späten Recht zu verhelfen.
So war es auch im Fall von Max Pechsteins Gemälde „Vier Akte in Landschaft“ von 1912, das sich bis vor wenigen Wochen im Besitz des Musée National d’Art Moderne (MNAM) in Paris befand. Wohlgemerkt: im Besitz, nicht im Eigentum, wie man schon vor Jahren entdeckte. Rechtmäßige Eigentümer sind die Erben des Sammlers, Mäzens und Politikers Hugo Simon. Im Juli nahm dessen Urenkel Rafael Cardoso das Bild bei einer Zeremonie mit der französischen Kulturministerin entgegen. Das MNAM im Centre Pompidou widmet Hugo Simon und dem Schicksal von Pechsteins Gemälde eine kleine Ausstellung mit historischen Fotos, Dokumenten und anderen expressionistischen Werken aus dem Museum.
Simon war Bankier in Berlin, im Winter 1918/19 nach der Novemberrevolution kurze Zeit preußischer Finanzminister für die linke USPD. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs engagierte er sich für den Pazifismus. Vor allem aber war er eine zentrale Figur im Kulturleben. Albert Einstein gehörte zu seinen Freunden, er korrespondierte mit Thomas Mann und fast allen anderen wichtigen Schriftstellern im Land. Wo er konnte, förderte und unterstützte Simon Künstler.
Besonders wichtig waren ihm die Skulptur und die Malerei. Der Expressionismus war eine Passion, aber für seine Sammlung erwarb er auch französische Impressionisten, Romantiker und alte Meister. Spätestens seit 1926 besaß Simon eine der vier Versionen von Munchs „Schrei“. Im Exil musste er das Bild aus Geldnot verkaufen; 2012 erzielte es bei Sotheby’s 119,9 Millionen Dollar. Eine Kompensation erhielt die Familie dafür nicht.
Die Nazis hassten Simon wegen seiner politischen Aktivitäten und wegen seiner jüdischen Religion. Gleich nach der Machtergreifung 1933 musste er mit seiner Familie emigrieren, konnte aber einen Teil seines Vermögens und seiner Sammlung nach Paris transferieren. Dort gründete er wieder ein Bankhaus und engagierte sich für die Flüchtlingshilfe und in politischen Organisationen. Als die Deutschen 1940 Frankreich besetzten, floh die Familie, nun fast völlig mittellos, mit gefälschten tschechischen Pässen nach Brasilien, wo Simon 1950 starb. Erst in den letzten Jahren hat die Familie einige Kunstwerke zu-rückerhalten. Dass Simon die „Vier Akte“ besaß, wurde erst offenbar, als ein Mitarbeiter im MNAM auf die Rückseite schaute und dort den Aufkleber der Ausstellung „Modern German Art“ in den Londoner New Burlington Galleries entdeckte. Darauf ist „Hugo Simon, Paris“ als Besitzer eingetragen.
Seit 2005 haben Provenienzforscher versucht, den Weg des Bildes von London bis ins Jahr 1966 zu erhellen, als es ins MNAM kam. Die Etappen der Verlustgeschichte blieben im Dunkeln, doch zweifellos verlor Simon das Pechstein-Werk im Zuge seiner Flucht. Darum beschied der französische Staat nach der langen Untersuchung des Falls die Restitution. Ein kleines Zettelchen sorgte für diese späte Gerechtigkeit.
„Hommage an den Sammler Hugo Simon“
Centre Pompidou, Paris
bis Ende September