Das Kunstmuseum Walter in Augsburg widmet dem Bildhauer Stephan Balkenhol eine große Schau
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28.07.2021
Schwarze Hose, weißes Hemd: in zigfachen Variationen und unterschiedlichen Größen schlägt Stephan Balkenhol diesen Allerweltstyp seit rund 30 Jahren aus dem Holz. Sein Alter Ego, das „die Welt zu ergründen versucht“, sein Anspruch „Momente der Weltwahrnehmung so allgemein und universal zu formulieren, dass auch andere daran anknüpfen können“. Auf Abbildungen wirkt dieser Durchschnittsmann fast ein bisschen banal. Doch vor den Originalen empfindet man ihre tiefsinnige Vielschichtigkeit, nimmt ihre bezwingende Aura den Betrachter gefangen.
Stephan Balkenhol, 1957 im hessischen Fritzlar nahe Kassel geboren, gilt als einer der bedeutendsten deutschen Bildhauer der Gegenwart. Der Lehrersohn hat in Kassel Abitur gemacht und die Documenta-Ausstellungen vor Ort mitbekommen. 1976 bis 1982 hat er an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg studiert, war Karl-Schmidt-Rottluff-Stipendiat. Als Lehrer war er am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt tätig, und seit 1992 als Professor an der Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe. Bei Ulrich Rückriem, dem doch so ganz anders arbeitenden Künstler, hat er Wesentliches gelernt: die artgerechte Auseinandersetzung mit dem Material – für Balkenhol Holz. Weiche, gut zu bearbeitende Sorten wie Zedern-, Wawa- oder Pappelholz, weil man „allein und ohne fremde Hilfe arbeiten kann“. Mächtige Sockel lassen die gewaltigen Stämme erahnen, aus denen die Figuren herausgeschlagen wurden. Denn Figur und Sockel bilden immer eine Einheit. Oft übertrifft die Gesamtkomposition das menschliche Maß ein wenig, so dass der Betrachter mit der Figur in Blickkontakt treten kann. Dies umso intensiver, da alle seine Männer und später auch die hinzugekommenen Frauen farbig gefasst sind und einen natürlichen lebensnahen Ausdruck vermitteln. Der ist indifferent-melancholisch.
Rund 20 Holzskulpturen aus den letzten Jahren, 15 Bronze-Kleinplastiken und vier bildhafte Relieftafeln zeigt die Augsburger Schau. Einen ansprechenderen Rahmen hätte Balkenhol sich für sein Werk kaum wünschen können als den lichtdurchfluteten Kuppelsaal der ehemaligen Baumwoll-Spinnerei und Weberei von 1908. Seit 2002 ist der Bauunternehmer und Kunstsammler Prof. Ignaz Walter Besitzer des sogenannten Glaspalasts, in dem sein Kunstmuseum Walter und die Galerie Noah zuhause sind. Für die Leiterin Wilma Sedelmeier ist dies nicht die erste museale Ausstellung, die aus der Zusammenarbeit mit dem Galeristen-Global-Player Thaddäus Ropac hervorgeht. Auch die großartige Anselm-Kiefer-Schau war dieser Kooperation zu verdanken.
Längst hat Balkenhol ein künstlerisches Renommée erreicht, das Großaufträge und -Denkmäler im internationalen öffentlichen Raum umfasst. Zu diesen Bronzefiguren, die Wind und Wetter trotzen, präsentiert Augsburg Kleinplastiken, die als Vorstufe oder in Auflagen um die 30 bis 50 Exemplare gegossen worden sind. Balkenhol lebt und arbeitet in Karlsruhe, Kassel und Lothringen. Seine enge Verbindung zu Frankreich spiegelt sich in Figuren wie dem „Gallier“ oder „Mann mit Zweispitz“. Dass Balkenhol auch Großformate souverän aus dem Holz schält, zeigt die über 2 Meter hohe „Apollon“-Skulptur. Der griechische Sänger-Gott sitzt nackt auf einem Felsen. Nur sparsam gefasst, tragen Körper und Haut deutliche Spuren des Bildhauers. Auch die Oberflächen der gefassten Durchschnittsmenschen weisen Holzspäne auf, die ihnen eine haptische Lebendigkeit verleihen. Allerdings können sich lebendige Durchschnittsmenschen wohl keinen Balkenhol leisten. Denn die Preise der Holzskulpturen bewegen sich um die 50.000 bis 150.000 Euro, jene für die Auflagen-Kleinbronzen um die 20.000 Euro.
„Stephan Balkenhol in der Sammlung Walter“
Kunstmuseum Walter, Augsburg
bis 5. September 2021