In einem ehemaligen Bunker präsentiert die Ausstellung „The Architecture of Confinement“ des Münchner Projektraums BNKR die Dimensionen von physischem und sozialem Gefangensein. Dabei nimmt die Schau ein historisches Kapitel des Gebäudes als Ausgangspunkt
Von
07.08.2021
Zusammengerollt im schwarzen Off zweier Fernsehbildschirme ruht der weiße Umriss einer scheinbar schlafenden Figur. Zu allen Seiten stößt sie an und man fragt sich unweigerlich: Kann das bequem sein? Zwar erinnert die embryonale Haltung an Geborgenheit im Mutterleib, doch dafür ist der dargestellte Mensch zu groß. Er wirkt wie eingesperrt in einem viel zu engen Raum. Mit dieser Ambivalenz von Schutz und Gefangenheit trifft die Videoinstallation von Özgür Kar im Kontext der Ausstellung „The Architecture of Confinement“ den Nagel auf den Kopf. Denn in der sorgsam kuratierten Schau von Sam Bardaouil und Till Fellrath geht es um räumliche Isolation und das Verhältnis von Individuen zu ihrer physischen Umgebung, aber auch um zwischenmenschliche Nähe und das Überwinden sozialer Grenzen.
Angelegt sind diese Themen bereits in der Historie und Architektur des Ausstellungsgebäudes: ein Hochbunker, erbaut von den Nationalsozialisten im Jahr 1943. Während des Zweiten Weltkriegs bot der Flakturm Sicherheit und diente als Warnanlage vor Luftangriffen. Nur wenige Jahre später, nach Kriegsende, wurde er im Rahmen der Entnazifizierungspolitik der Alliierten als Internierungslager genutzt und entwickelte sich so vom Schutzraum zu einem Ort der Inhaftierung. Insgesamt 114 festgenommene Nationalsozialisten, darunter der ehemalige Oberbürgermeister Karl Fiehler und Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann, warteten ab 1945 im Bunker auf ihre Spruchkammerverfahren und wurden im Dezember 1948 entlassen. Heute finden in dem seit 2014 dort eingerichteten BNKR, dem Kunstraum des Immobilienunternehmens Euroboden, unter der Leitung von Nina Pettinato wechselnde Ausstellungen zur Förderung zeitgenössischer Positionen an der Schnittstelle von Kunst und Architektur statt.
Innerhalb einer Ausstellungstrilogie zur Geschichte des Hauses nimmt die aktuelle Präsentation nun diese zweite Periode als inhaltlichen Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Gefangenschaft in räumlicher sowie sozialer Hinsicht. Während sich die Kunstwerke auf einer Metaebene mit dem Thema befassen, erläutert eine Archivwand die Nutzungsphasen des Gebäudes durch Fotografien und Dokumente des Münchner Stadtarchivs. Diese Darstellung historischer Kontexte bildet als Ergänzung der künstlerischen Positionen für die gesamte Dauer der dreiteiligen Präsentation einen zentralen Fixpunkt.
Trotz Abstraktion stellt kein anderes Werk den Bezug zur Haft so deutlich dar wie Nadia Kaabi-Linkes „Modulor I“, das durch goldschimmernde Linien auf Boden und Wand die Dimensionen von Gefängniszellen weltweit nachzeichnet. Betritt man das Kunstwerk, lassen sich so die erschreckend kleinen Räume gedanklich konstruieren und anhand der notierten Ortsangaben zuordnen. Dazu zählt beispielsweise die Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt, auf der der Freiheitskämpfer Nelson Mandela mehr als 20 Jahre verbringen musste.
Doch bei aller Schwere, die die Ausgangsthematik mit sich bringt, gelingt dem Kuratorenduo in seiner Auswahl der Kunstwerke dennoch eine Drehung mit Leichtigkeit und Witz. Durch die Ausweitung der Betrachtung räumlicher Enge auf Einschränkungen, die aus Partnerschaften und der Gesellschaft resultieren können, eröffnet die Schau neue Interpretationsebenen. So lässt Mona Hatoum in ihrer Skulptur „T42 (Gold)“, gesprochen tea for two, zwei Porzellanteetassen miteinander verschmelzen und visualisiert, wie eine enge Verbundenheit zwischen zwei Personen mitunter auch deren Handlungsfreiheit verringert. Im Nachbarraum liefern sich unterdessen eine junge weiße Breakdancerin und ein schwarzer Balletttänzer zu den Sinfonien Mozarts einen Wettstreit auf den Straßen von Paris. Mit fesselnder Ästhetik zeigt der Film „Grand Hôtel Barbès“ von Regisseur Ramzi Ben Sliman einen Tanz gegen Vorurteile und ein Spiel mit dem Kontrast zwischen dem vermeintlich minderwertigen Straßentanz und elitärem, klassischem Ballett.
Besonders in einer Zeit der Pandemie, die von Isolation und dem Rückzug in die eigenen vier Wände geprägt ist, erhalten die Werke neues Gewicht. So auch die Fotoserie „Frantic“ von Joanna Piotrowska. Von 2016 bis 2017 besuchte die Künstlerin in ihrer Geburtsstadt Warschau Personen in ihren Wohnungen und ließ sie dort mit Stühlen, Kissen und Decken neue Räume kreieren, die an die eigenen Höhlenbauten der Kindheit erinnern. Abgeschieden in ihren Privaträumen sind auch die vier Musikerinnen und Musiker in Annika Kahrs’ Video- und Soundinstallation „our Solo“. Der physischen Distanz zum Trotz scheinen sie telepathisch miteinander verbunden und beeinflussen einander im Entstehen ihrer Melodien. So ergibt sich im Zusammenschnitt abwechselnder Einzelaufnahmen der Musizierenden ein harmonischer Dialog.
„The Architecture of Confinement“
BNKR, München
bis 17. Oktober 2021