Die Neue Nationalgalerie ist eine Ikone der Moderne. Ihre Wiedereröffnung feiern 31 Berliner Galerien mit Ausstellungen, die sich dem Haus und seinem Architekten Mies van der Rohe widmen
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19.08.2021
Das Foto wirkt ausgeblichen, wie eine ferne Erinnerung an jene Villa, die der Architekt Mies van der Rohe um 1930 im tschechischen Brünn für das Ehepaar Tugendhat errichtete. Dass der Künstler Erwin Kneihsl seine Aufnahme viel später angefertigt hat, verrät bloß ein Aufsteller auf der Veranda: Er zeigt die Zeit für den nächsten Rundgang im Haus Tugendhat. Die Ikone der Moderne, von der Jahrzehnte währenden Fremdnutzung fast schon zerstört, ist heute ein Museum.
Nicht alle von Mies van der Rohe realisierten Gebäude verbindet solch ein Schicksal. Sein Entwurf für die Neue Nationalgalerie in Berlin etwa wurde immer geschätzt und in jüngerer Vergangenheit vom Büro Chipperfield aufwändig restauriert. Nach sechs Jahren öffnet der Bau am Potsdamer Platz nun mit einer Ausstellung von Alexander Calder wieder. Ein kultureller Paukenschlag, den die hiesigen Galerien mit einem eigenen Projekt verstärken. Ihre Idee: der Ausstellungsparcours „Mies in Mind“.
Knapp 30 von ihnen feiern die Rückkehr der Nationalgalerie ins Stadtbild mit thematischen Schauen. Einiges wie die Arbeit von Fernando Bryce in der Galerie Barbara Thumm ist eigens für den Rundgang entstanden. Anderes nimmt Bezug auf den Architekten oder die Charakteristika seiner Bauten, die sich durch Klarheit und Transparenz auszeichnen. „Fast Mies“ nennt Heimo Zobernig seine Ausstellung in der Galerie Nagel Draxler, der österreichische Künstler spielt mit dem baulichen Repertoire des Idols. Jorge Pardo wiederum, der mit der Gestaltung des Museumscafés beauftragt wurde, setzt sich mit dem Beitrag auseinander, den die Architektin und Designerin Lilly Reich für das Werk von Mies van der Rohe geleistet hat: Zehn Jahre war sie in dessen Büro tätig, und Pardo zollt ihr ebenso in der Galerie Neugerriemschneider wie mit seinem Café-Entwurf Tribut.
Bei Guido Baudach hängen Erwin Kneihsls Handabzüge von Architekturfotografien, die Galerien Sprüth Magers und Konrad Fischer zeigen, wie Thomas Ruff die legendären Häuser „Werner“ und „Lemke“ in seinen Motiven verwischt und so ein Stück weit verschwinden lässt. „Inside the Outset: Evoking a Space of Passage“ heißt der Film von Rosa Barba, der erst einmal wenig mit Mies van der Rohe zu tun haben scheint. In der Galerie Esther Schipper fördern Unterwasseraufnahmen antike Amphoren und Seegras zutage. Erst später klärt sich, dass es der Künstlerin um die Situation auf Zypern geht – und das komplexe System aus Zonen der Abgrenzung und Zuwendung auf der Insel durchaus mit architektonischen Ideen von Durchlässigkeit oder Undurchlässigkeit korrespondiert.
Barba ist auch mit einer filmischen Installation in der Neuen Nationalgalerie vertreten. Ihre Arbeit zeigt sehr schön, wie sehr sich die Ebenen zwischen der Institution und den Galerien ohnehin verschränken. Dennoch haben mit Mehdi Chouakri und Marie-Blanche Carlier (Galerie Carlier Gebauer) zwei Galeristen das Projekt „Mies in Mind“ intensiv vorangetrieben, das dank Index Berlin im Rahmen der „Sunday Open“-Reihe ein ganzes Wochenende lang eröffnet wird. Zu Recht, eine ähnlich prominente Wiedereröffnung wird es so schnell nicht geben. Chouakri bat seine ausstellenden Künstler Isabell Heimerdinger und Jonathan Monk explizit um einen Beitrag. Für Maria Taniguchi, die ihre Video-Arbeit „Mies 421“ bei Carlier Gebauer präsentiert, war dies überhaupt keine Frage: Ihre poetische Rekonstruktion des Barcelona Pavillons entstand vor zehn Jahren. Schon da war die in Manila lebende Künstlerin von Mies vollkommen fasziniert.
Sunday Open featuring „Mies in Mind“
20. bis 22. August
Freitag/Samstag 11-19 Uhr
Sonntag 10-18 Uhr
indexberlin.com