Der Herbst beginnt mit abwechslungsreichen Kunstausstellungen: Im September gibt es Ulrike Theusners bunten Kosmos in der Kunsthalle Rostock, eine Retrospektive zu Judy Chicago und die Familie Giacometti in Südfrankreich
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01.09.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 189
Für seine Legende hat Norbert von Xanten hart gearbeitet: 1115 vom Blitz getroffen, wurde er Priester, zog im groben Gewand durch Frankreich und gründete 1120 das Kloster Prémontré, in dem die Nonnen und Mönche gemäß der schon damals wenig attraktiven Tugenden Armut, Gehorsam und Keuschheit lebten. Nach seiner Weihe als Erzbischof von Magdeburg im Jahr 1126 verbreiteten sich der Einfluss und die Kunst des Ordens in Europa – wie zum Beispiel der Reliquienschrein des heiligen Simon aus der Abteikirche Sayn bei Koblenz beweist.
Wenige haben die Machtverhältnisse im Kunstbetrieb so gründlich umgekrempelt wie die Amerikanerin Judy Chicago. Als Mitbegründerin des Feminist Studio Workshop in L.A. schuf sie 1973 einen Raum für Künstlerinnen. Sie lud zudem in ihrer Installation „The Dinner Party“ (1974–1979) 39 Frauen aus des Geschichte zu einem imaginären Abendessen an einen Tisch oder ließ mit ihrer Serie „Women and Smoke“ Rauchzeichen des Wandels aufsteigen. Dass das Interesse der 1939 geborenen Künstlerin über den feministischen Blickwinkel hinausgeht, zeigt ihre Retrospektive ebenso – mit minimalistischen Arbeiten der Sechzigerjahre, die sich der Bewegung Light and Space zuordnen lassen, oder auch einem Gemälde wie „Driving the World to Destruction“, das schon 1985 vor dem Klimawandel warnte.
Im 19. Jahrhundert veränderte sich der Blick auf die Kinder, die nun nicht mehr einfach kleine Erwachsene waren. Neben (noch geringfügigen) Einschränkungen der Kinderarbeit bedachte die industrielle Gesellschaft zumindest die Sprösslinge bürgerlicher Familien mit einem passenderen Mobiliar: Gestalter begannen, spezielle Stühle zu entwerfen, wie ein Kinderspeisesessel der Bugholzmeister Thonet aus den Jahren um 1880 in der Sonderschau des Grassimuseums belegt. Das Kinderstuhldesign lief dann ab 1945 zur Hochform auf mit kreativen Exemplaren wie etwa dem froschgrünen Lehnstuhl „Julian“ (2005) von Javier Mariscal.
Wer Farbe sucht, wird hier fündig – in den Bildern von Ulrike Theusner, die ihre Verbundenheit mit der Kunstgeschichte nicht verleugnen: Hinter der Fratze von „Taylor with Mask“ (2020) lauert der belgische Symbolist James Ensor, und die verschlungenen Zweige des Baumes in „Tent Cities IV, Treehouse“ (2019) wurzeln auf den Kringeln van Goghs. Theusners bunter Kosmos ist in Zeiten allgemeiner Melancholie vielleicht genau der richtige Zufluchtsort.
Es mag überraschen, dass ausgerechnet der Barock unter den zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern Fans hat. Die Gemälde und Skulpturen des 16. bis 18. Jahrhunderts sind so mit Emotionen vollgesogen, dass sie nicht so recht zum coolen Zeitgeist zu passen scheinen, der sich im 20. Jahrhundert durchgesetzt hat. Der Kunstpalast wagt dennoch den vergleichenden Blick: Dass sich Niki de Saint Phalle in ihrem Werk „Saint Sébastian“ (1963) auf einen beliebten Heiligen des Barocks bezieht, ist offenkundig. Dagegen würde man bei den großen Abstraktionen von K. O. Götz doch eher eine geistige Nähe zur fernöstlichen Philosophie als zum barockem Opulenzdrang annehmen. Über die Ausstellung wird sich vermutlich streiten lassen, aber das ist ja immer produktiv.
Nicht leicht, die Gene eines Genies zu teilen: Im Biografiespielfilm „Final Portrait“ (2017) muss der arme Diego Giacometti die Launen des berühmten Bildhauerbruders Alberto ertragen und dessen Atelier am Laufen halten. Dass Diego trotzdem Zeit fand, wundervolle Möbel wie den Schminktisch mit Stuhl zu entwerfen, zeigt diese Schau, die die Künstlersippe Giacometti versammelt. Ausgestellt sind auch Gemälde des in Schweizer Museen viel vertretenen Vaters Giovanni Giacometti sowie Bilder von dessen ebenfalls nicht unbekannten Cousin Augusto, Architekturentwürfe von Bruder Bruno – sowie natürlich die Skulpturen des großen Alberto.