In der Selbstinszenierung der Malerin Frida Kahlo, die gerade einen Auktionsrekord erzielt hat, verschmolzen Kunst und Leben. Dazu zählte auch ihr Schmuck – mit dem sie ein familiäres Erbe verband
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17.11.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 192
Wer hätte gedacht, dass Frida Kahlos Augenbrauen aus dem Nordschwarzwald kommen? In einem Stammbaum, in dem sie sich und ihre Ahnen malte, steht sie als kleines Mädchen im Hof des Blauen Hauses in Coyoacán und hält ein rotes Band in den Händen, das zu ihren Eltern und schließlich oben in den Wolken zu ihren Großeltern führt. Links hat sie die mexikanischen Verwandten mütterlicherseits porträtiert, rechts die deutschen Ahnen väterlicherseits. Die Einzige im Bild mit der typischen Frida-Kahlo-Monobraue ist die Pforzheimer Großmutter.
Vieles im Leben der Künstlerin hat märchenhafte Züge, so auch ihre Vorgeschichte. Zum Beispiel, dass der Frankfurter Großvater Jakob Heinrich Kahlo Spross einer Familie war, die schon seit dem 17. Jahrhundert Lebkuchen produzierte, und ausgerechnet eine Frau heiratete, die mit Vornamen Rosine hieß. Dafür zog er in die traditionsreiche Goldschmiede-Stadt Pforzheim im Großherzogtum Baden, wo Rosine Henriette Kaufmann als Tochter eines Schmuckfabrikanten aufgewachsen war und er ins Bijouterie-Geschäft der Familie einsteigen konnte. Der Sohn Wilhelm Kahlo wurde genau vor 150 Jahren, am 26. Oktober 1871, geboren. So wie Frida Kahlo den weiteren Verlauf der Geschichte erzählte, verstand ihr Vater sich nicht mit seiner Stiefmutter – Rosine war gestorben, als er noch ein Kind war – und ist deshalb ausgewandert: Im Mai 1890 bestieg der achtzehnjährige Wilhelm Kahlo in Hamburg auf Nimmerwiedersehen das Dampfschiff „Borussia“ mit Kurs auf Veracruz. Mexiko sollte seine neue Heimat werden.
Nach Mexiko-Stadt exportierten die Pforzheimer Schmuckfabrikanten damals große Warenmengen, fertige Schmuckstücke ebenso wie Gold- oder Silberfassungen, in die erst in Mexiko die Steine eingesetzt wurden. Rund 500 Deutsche lebten 1890 in Mexikos Hauptstadt, und die Namen einiger von ihnen wird Wilhelm bei sich gehabt haben. Arbeit fand er schnell als Buchhalter in einem Schmuckgeschäft. Während viele Deutsche lieber unter sich blieben, war Wilhelm Kahlo, der sich nun Guillermo nannte, aufgeschlossen, ja begeistert von seinem neuen Umfeld. Er wurde Fotograf, dokumentierte in den nächsten Jahrzehnten das aufstrebende Land, die Kirchen, die Industrie, die immer weiter wachsenden Eisenbahnlinien, die altmexikanischen und kolonialen Architekturen. Auch familiär verband der evangelische Badener sich mit seiner Wahlheimat: Seine erste, früh verstorbene Frau war katholische Mexikanerin, wie auch seine zweite Frau, Matilde Calderón, die Tochter eines Fotografen aus Oaxaca, Frida Kahlos Mutter. Es heißt, die beiden haben sich in dem eleganten Schmuck- und Uhrengeschäft La Perla in Mexiko-Stadt kennengelernt. Dort unterhielt Guillermo Kahlo später ein Fotoatelier, und noch ein paar Jahre darauf brachte er dort seiner Lieblingstochter Frida bereits im Grundschulalter bei, wie man Fotografien koloriert.
Frida Kahlo ist die berühmteste Künstlerin der Welt und populär wie nie zuvor. Allein in Deutschland haben heute mehr als 30.000 Kinder den Namen Frida oder Frieda (das „e“ legte Kahlo als Erwachsene ab). Ihre Selbstbildnisse sind viele Millionen Mal reproduziert worden, ihr Leben und ihre Leidensgeschichte Tausende Male erzählt: der Unfall im Bus 1925, bei dem ihr achtzehnjähriger Körper durchbohrt wurde, die vielen Monate, die sie immer wieder ans Krankenbett gefesselt war, ihre leidenschaftliche und turbulente Liebe zu dem zwanzig Jahre älteren Künstler Diego Rivera, ihre Liebhaberinnen und Liebhaber (unter ihnen Leo Trotzki), ihre Fehlgeburten und Amputationen. Wie keine andere Frau ist sie für verschiedene Generationen zur Identifikationsfigur geworden, für Mexiko, den Feminismus, Kommunismus, Surrealismus. Eine Ikone ist die Künstlerin auch in unseren genderfluiden Zeiten, zog sie sich doch gerne mal an wie ein Mann. Body-Positivity: Ihre Oberlippenbehaarung kultivierte Kahlo als Huldigung an den mexikanischen Revolutionär Emiliano Zapata, der für Bauern und Ureinwohner gekämpft hatte.
Alle ihre Selbstbildnisse und anderen Gemälde, Porträts und Stillleben sind gerade im Taschen-Verlag in einem monumentalen, reich ausgestatteten Werkverzeichnis erschienen. Tauchte in der Vergangenheit einmal eines ihrer 152 Gemälde auf einer Auktion auf, erzielte es meist einen Millionen-Preis. Schon 1995 brachte das „Selbstbildnis mit Affe und Papagei“ aus der IBM-Sammlung einen Hammerpreis von 2,9 Millionen Dollar. Diesen November hat Sotheby’s einen Auktionsrekord von 34,9 Millionen Dollar für ihr Gemälde „Diego y yo“ von 1949 erzielt, und in privaten Deals soll noch viel mehr Geld geflossen sein. Für das „Selbstporträt mit Papageien“ habe ein asiatischer Sammler hinter den Kulissen bei Christie’s vor wenigen Monaten mehr als 130 Millionen Dollar gezahlt, so der Kunstmarktexperte Kenny Schachter.