Das Werk der Berliner Bildhauerin Alicja Kwade wird weltweit gefeiert – auch und gerade in Japan. Wir sprachen mit ihr über Minimalismus, die Faszination eines Inselreichs, die Setouchi Triennale und Wasser in der Wüste
Von
29.12.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 194
Frau Kwade, Sie haben derzeit eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie in Berlin. In dieser Schau hört man via Lautsprecher Ihren Herzton. Was lässt denn Ihr Herz höherschlagen?
Ich habe für diese Arbeit mein Herz eingehender als sonst beobachtet und bin zu der verblüffenden Beobachtung gekommen, dass es am Tag zwischen 55 und 140 Schläge pro Minute macht. Es gibt eine relativ hohe Schwankungsbreite. Ich habe mich gefragt, was mich in Aufregung versetzt. Es gibt ständig Dinge, die ich schnell erledigen muss. Das sind so Adrenalinstöße, weil ständig irgendeine Deadline ansteht. Dann schlägt mein Herz immer sehr schnell und laut.
Für viele Menschen ist ja auch das Reisen etwas sehr Aufregendes. Ihre Arbeiten sind überall auf der Welt zu sehen, auch in Japan. Vor gut zwei Jahren haben Sie an der Setouchi Triennale auf den Inseln im japanischen Seto-Binnenmeer teilgenommen. War das Ihre erste Begegnung mit dem Land?
Meine erste Japanerfahrung hatte ich 2011, also in dem Jahr, in dem dieses schreckliche Unglück in Fukushima passiert ist. Ich bin einen Monat nach diesem Unfall hingefahren. Damals wollte kein Europäer dorthin, weil alle wahnsinnige Angst hatten. Ich fand das irgendwie merkwürdig, bei uns sind auch solche Dinge passiert. Ich bin also mit Erika Weiss von der König Galerie nach Japan gereist. Zusammen mit der Galerie Raster aus Warschau, die dort in leer stehenden Gebäuden Ausstellungen veranstaltet hat, haben wir in einem verlassenen Bürokomplex in Tokio ausgestellt. So haben für mich die Faszination und das Interesse an Japan begonnen. Es war in bisschen wie in „Lost in Translation“ …
… dem Film mit Scarlett Johansson und Bill Murray.
Ja, genau. Eine mitunter absurde, ganz andere Erfahrung, aber so, dass ich unbedingt wiederkommen wollte. Und 2018 wurde ich eingeladen, bei der Setouchi Triennale dabei zu sein.
Was ist das Besondere der Setouchi Triennale?
Es ist ein Konzept, das schon bei der Hauptinsel Naoshima funktioniert hat …
… wo mit der Benesse Art Site eine außergewöhnliche Museumslandschaft entstanden ist, die viele Besucher anzieht.
Ich sollte im Rahmen der Setouchi Triennale auf einer winzig kleinen Insel ausstellen, Honjima. Diese sollte so in das touristische Konzept einbezogen werden. Es geht ja darum, Inseln zu erschließen, die teilweise komplett verlassen worden sind. Manchmal leben dort noch ein paar ganz alte Menschen in diesen unfassbar schönen Häusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die nach wie vor erhalten sind. Und ich habe dort in einem Haus, ich glaube auch aus dem 16. Jahrhundert, im Wesentlichen in den Innenräumen ausgestellt.
Was war das für eine Arbeit?
Ich habe mich auf die Tatami bezogen, den klassischen Bodenbelag eines japanischen Hauses. Jedes Haus dort bezieht sich auf den Grundriss der Matte. Von Region zu Region ist die Matte leicht unterschiedlich, aber sie ist immer ungefähr 90 mal 120 Zentimeter groß. Ich finde das eine ganz tolle Idee, die eigentlich schon im 15. und 16. Jahrhundert den Gedanken des Bauhauses vorwegnimmt. Das ist das architektonische Konzept: dass sich die Gebäudestruktur am Grundriss der Auflagefläche dieser Matte orientiert. Dadurch entsteht natürlich höchste bauliche Harmonie, weil sich alles ineinanderfügt. Damit hängt auch der Minimalismus zusammen: Man sieht ja in dem Haus eigentlich nichts, alle Klamotten sind immer hinter Schiebetüren versteckt. Man hat im Grunde immer einen leeren Raum. Es gibt nur eine Einbuchtung in einer Zimmerwand, die ist vorgesehen für den ästhetischen Moment. Dort stellt man eine Blume hin oder einen Papyrus. Das hat mich fasziniert. Ich habe dann mit Handwerkern vor Ort eine Struktur gebaut, indoor und ganz zart, wo wir Schiebewände aufgestellt haben und Spiegel und dadurch Momente des Alltags vervielfacht haben, zum Beispiel die Hausschuhe oder Kissen, sodass man nicht mehr genau wusste, wo der Raum anfängt und aufhört. Und dann habe ich noch eine weitere Arbeit dort präsentiert, die sich zwischen dem Innen- und Außenbereich bewegt hat. Das waren Steine, die mit Ringen verbunden sind. Das mutete ein bisschen an wie ein planetarisches System. Diese Arbeit gab es schon vorher, aber die hat sehr gut gepasst zur japanischen Idee vom Garten und vom Stein als Teil eines Gartens.