Antoine Watteau

Spannungsvoll knistert die Seide

Zum 300. Todestag von Antoine Watteau zeigt eine Ausstellung in Berlin, wie der französische Maler den vergnüglichen Lebensstil der Régence einfing

Von Jochen Stöckmann
08.12.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 192

Aufs grobe Soldatenhandwerk verstehen sich österreichische Husaren, in der Kunst der Bildbewertung sind sie weniger geübt. Das verschafft dem preußischen König Friedrich II. im Oktober 1760 immerhin ein Trostpflaster. Nachdem die feindlichen Regimenter das Charlottenburger Schloss ausgeraubt haben, bestellt der feingeistige und hier unterlegene Schlachtenlenker seinen Kammerherrn zum Rapport: „Wandteppiche und Gemälde wurden geplündert, mit Ausnahme der schönsten, der beiden Ladenschilder von Watteau.“

„L’Enseigne de Gersaint“ war ursprünglich ein einziges Ladenschild, gut dreieinhalb Meter breit: Antoine Watteau malt es 1720 kurz vor seinem Tod als „Fingerübung“ in acht Tagen für einen befreundeten Kunsthändler. Vor dem Pariser Geschäft von Edmé Gersaint ist die originelle und viel beachtete Werbung (Öl auf Leinwand) Wind und Wetter ausgesetzt. Also bringt Gersaint das Bild nach zwei Wochen in Sicherheit – und als Kunstwerk in den Handel. Unter Sammlern sind Pendants gefragt, deshalb wird das ungewöhnlich breite, für private Gemäldekabinette wenig geeignete Format irgendwann geteilt. Und so kann Friedrich II. 1746 beim Leidener Händler Pieter Boetens gleich zwei „schöne“ Ladenschilder für seine bereits recht umfangreiche Kollektion erwerben. Mit dieser königlichen Sammlung, heute Teil der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, verfügen Berlin und Potsdam nach dem Pariser Louvre über die weltweit bedeutendsten Watteau-Bestände.

Zum 300. Todesjahr des Künstlers steht das Ladenschild, seit 1930 wieder in einem Rahmen zusammengefügt, im Zentrum der Ausstellung „Antoine Watteau. Kunst – Markt – Gewerbe“. Mit einigen weiteren Gemälden, ergänzt durch Druckgrafik und angereichert mit Kunstgewerbe, wird im Schloss Charlottenburg die posthume Vermarktung in all ihren Verästelungen illustriert. Um die Wanderung der Watteau-Motive auf Tapisserien, Porzellan und Fächer oder den Einfluss auf die Mode nachzuzeichnen, bieten die Ausstellungsmacherinnen 130 Objekte auf, darunter 80 Leihgaben.

Antoine Watteau Studie Schloss Charlottenburg
Gezeichnete Studien aus dem Alltag wie die „Kunstpacker“ (um 1720) flossen in Watteaus monumentales Meisterwerk „Das Firmenschild des Kunsthändlers Gersaint (L’Enseigne)“ von 1720 ein. © CC0 Paris Musées/Musée Cognacq-Jay

aZu Lebzeiten des Künstlers beginnt der Verkauf seiner Bilder schleppend. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. und sein Hofstaat in Versailles, sie ignorieren den als Autodidakt erst spät und allein aufgrund seines überragenden Könnens in die Akademie aufgenommenen Watteau. Die bedeutenden Bestände im Louvre gehen auf private Sammler zurück, auf Bankiers oder adlige Mäzene, die vor dem steifen höfischen Zeremoniell nach Paris geflüchtet sind: Mit liebestollem Ballvergnügen und den von Watteau als lebenslustige fêtes galantes beschworenen Gartenfesten, aber auch in Konversationszirkeln und Salons entwickelt sich der Lebensstil der Régence.

Der Herzog von Orléans hat 1715 für den minderjährigen Ludwig XV. die Regentschaft übernommen und verlegt seinen Hof nach Paris. Diese Entscheidung des Interimsmonarchen ist die politische Beglaubigung eines kulturellen Umbruchs, den Watteau mit seinem Ladenschild verewigt – feinsinnig und hintergründig: Eine Dame setzt ihren zierlichen Fuß in Gersaints Laden und schaut en passant auf ein Porträt Ludwigs XIV., das in einer Transportkiste verstaut wird. Schon wird sie von einem jungen Galan mit tänzelnder Geste vor eine opulente Bildergalerie gezogen: Dort hängen – vom Maler skizzenhaft angedeutet – die Rubens, Poussins, Veroneses zum Verkauf. Vor diesem Angebot versandet, in Gersaints Reich der Kunst, jegliches Interesse am just verstorbenen Sonnenkönig. Bereits Teil der Vergangenheit, verschwindet er in der Versenkung.

Diese Allegorien konfrontiert Watteau mit dem Alltag. Im Ladenschild stehen dafür die Packer und Lagerarbeiter. Figuren aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten treffen aufeinander. Aus ihrem geometrischen Arrangement ergibt sich eine bis in jede Seidenfalte knisternde Choreografie, zugleich ein kulturhistorisches Panorama. Zudem resultiert Spannung aus dem Zusammentreffen geistreicher Kunstkenner mit einem blasierten Publikum, das den oberflächlichen Reizen der beginnenden Kommerzialisierung erliegt: Während Madame konzentriert die Ausführung der Baumkulisse beäugt und Monsieur hingebungsvoll vor den weiblichen Akten kniet, ist direkt daneben das Gespräch über Kunst erstorben. Man betrachtet stattdessen sein eigenes, modisch herausgeputztes Selbstbildnis im Spiegel.

Das alles ereignet sich in Paris, auf dem Pont Notre-Dame. Die Geschichte dieses Ortes ist in der Ausstellung bis hin zur 3-D-Simulation von Gersaints Ladenlokal dokumentiert, denn hier liegen auch die Anfänge von Watteaus Karriere: Als Kopist, als „Pinsler“ musste der Sohn eines Dachdeckers aus der nordfranzösischen Provinz sein Brot verdienen, bis ihm dann mit dem ikonischen Werk der „Einschiffung nach Kythera“ die Aufnahme in die Akademie gelang.

Antoine Watteau Der Tanz Gemälde Schloss Charlottenburg Berlin
„Der Tanz (,Iris‘)“ aus den Jahren 1718/1721 von Antoine Watteau. © Jörg P. Anders/bpk/Gemäldegalerie, SMB

Ein Freund, Jean de Jullienne, bemüht sich nach Watteaus frühem Tod um dessen Werk. Der Textilfabrikant lässt mit einer Liebhaberausgabe in vier Prachtbänden sämtliche Zeichnungen sowie Kupferstiche der Gemälde und Ornamententwürfe reproduzieren. Komplett eine Rarität, sind die Bände in den Augen der heutigen Ausstellungsbesucher das Indiz für die These einer explosionsartigen Vermarktung. Die „Recueils Jullienne“ lösen eine Watteau-Welle aus: In Meißen etwa wird nach den Vorbildern 1738 ein Porzellanservice unter dem zugkräftigen Namen „Watteausche Figuren“ aufgelegt. Friedrich II. folgt diesem Beispiel, ordnet ähnliches Dekor für die Königlich-Preußische Porzellanmanufaktur an und ermahnt seinen Hofkünstler Antoine Pesne, „wie Watteau“ zu malen, also „recht heiter“.

Ein hübsches Missverständnis. Jean Cocteau und Louis Aragon führen 1959 anhand von Kunstbänden Gespräche über die Dresdner Gemäldegalerie und erkennen in Watteau den Künstler, der ihnen „am nächsten steht“. Und doch warnt Cocteau vor „Fallen, gestellt für Menschen, die Watteau, ähnlich wie Mozart, für frivol, für einen Operettenmaler halten“. Denn: „Watteaus Männer und Frauen tragen ihre Satinmäntel und -kleider mit all ihren Rüschen und Volants, als ob jedes Kostüm eine Rüstung wäre.“ Die galante Spielwiese ist ein Turnierplatz der Gefühle, ein Übungsfeld psychologischer Manöver. 

Service

AUSSTELLUNG

„Antoine Watteau. Kunst – Markt – Gewerbe“

Schloss Charlottenburg, Berlin,

bis 9. Januar 2022

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