Im zweiten Anlauf wird der Erweiterungsbau von Herzog & de Meuron zum Glücksfall für das Museum Küppersmühle in Duisburg
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30.01.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 195
Über dem Abgrund sollte ein Dachaufbau aus Stahl balancieren, auf den Silos der einstigen Getreidemühle, dort wollten ihn die Architekten Herzog & de Meuron als Reklamekubus platzieren. Der Namenszug des Hauptsponsors Evonik war als nachts leuchtende Attraktion vorgesehen. So lautete der Plan bis zum Jahr 2008. Doch dann kam alles ganz anders. Dabei war der Ort am Ostende des Duisburger Innenhafens den Architekten nicht unbekannt gewesen – schließlich hatten sie selbst Ende der Neunzigerjahre für den Umbau des backsteinernen Mühlenspeichers von 1908 zum Museum Küppersmühle für Moderne Kunst (MKM) verantwortlich gezeichnet. Ein Jahrzehnt später schwebte ihnen mit dem gewagten Erweiterungsbau, frei nach El Lissitzkys Vision des „Wolkenbügels“ (1924) für Moskau, die ultimative Demonstration ihres Könnens vor.
Stattdessen scheiterte die Baufirma beim Schweißen an der Statik des Stahlskeletts und ging insolvent. Die damalige Bauherrin, die städtische Wohnungsbaugesellschaft GEBAG, zog aufgrund explodierender Kosten die Bremse und verkaufte das Projekt an das Darmstädter Milliardärsehepaar Sylvia und Ulrich Ströher. Dessen Sammlung von Pop-Art, Minimalismus und deutscher Nachkriegskunst bildet den Grundstock des MKM-Bestandes, im Werkverzeichnis stehen Namen wie Andy Warhol, Donald Judd oder Gerhard Richter. Und das Who’s who hatte sich 2005 noch erweitert, als der Duisburger Bauunternehmer Hans Grothe, der den Umbau des alten Mühlengebäudes zum Museum initiiert hatte, einen Großteil seiner eigenen Werke von Georg Baselitz, Anselm Kiefer oder Sigmar Polke für geschätzte 50 Millionen Euro an die Ströhers verkaufte.
Für den angewachsenen Bestand wagten die Wella-Erben 2013 einen erneuten Erweiterungsanlauf und gründeten die MKM Stiftung. Auf die Basler Stararchitekten wollten die neuen Bauherren weiterhin nicht verzichten. Diese begnügten sich nun bei ihrem neuen Konzept damit, das Vorgefundene weiterzuentwickeln: So fügten sie dem Bestand, verbunden über die erstmals zugänglichen historischen Silotürme, einen Anbau mit 5000 Quadratmeter Grundfläche hinzu. Der eingemauerte Schriftzug mit dem Namen des Museums signalisiert auf den hart gebrannten Backsteinziegeln in der industriell geprägten Umgebung einen subtilen Eingriff. Nach außen vermauert wurden die porösen Innenseiten der Ziegel, was der Wand den Anschein eines flatternden Schleiers gibt. Eine neue Elbphilharmonie, die einer ganzen Stadt ihren protzigen Stempel aufdrückt, droht hier nicht, so die diskrete Geste. Die Londoner Tate Modern in einem ehemaligen Elektrizitätswerk – von den Pritzker-Preisträgern kurz vor der Jahrtausendwende parallel zum Duisburger Getreidespeicher geplant – lässt sich als Referenz dagegen nicht ignorieren.
Hinter der bodenständigen backsteinernen Fassade mit wenigen senkrechten Fensterschlitzen verbergen sich drei Baukörper. In zwei von ihnen findet man 2500 zusätzliche Quadratmeter Ausstellungsfläche vor. Dazu gesellt sich ein Dreiecksbau für Transport und Versorgung, in dem eine mit orangebraunem Ziegelstaub gefärbte und mit organischen Rundungen auftrumpfende Sichtbetontreppe als Äquivalent zu jener Stiege im Altbau ihren parallelen großen Auftritt bekommt. Zwei Versionen einer sinnlich inszenierten Architektur, die hier wie dort keine Konkurrenz durch die Kunst oder gar Fensterblicke in die Außenwelt duldet. In diesen Blutbahnen des Museumskörpers lässt sich das Gesehene verarbeiten, bevor nur wenige Schritte weiter die Atmosphäre wieder eine andere ist.
Zugang zur Erweiterung erlangt man aus dem Altbau heraus auf zwei Etagen über die entkernten und denkmalgerecht sanierten, 30 Meter hohen Silos, wenn man denn frei von Höhenangst eine der minimalistischen Brücken überquert, staunend über die filmischen Qualitäten dieses monumentalen Settings. Die Architektur macht hier ihren Weltniveau-Anspruch deutlich und stellt klar, dass man in Duisburg durchaus mit den von Herzog & de Meuron gleichzeitig fertiggestellten Museumsneubauten eines SongEun Art Spaces in Seoul oder eines Kulturzentrums M+ in Hongkong mithalten wollte.
Die Brüche zwischen Alt und Neu sind unübersehbar. Insbesondere fallen die raffinierten Blickachsen zwischen den unterschiedlich geschnittenen 36 Sälen auf. Das Zusammenspiel von Kunstlicht und natürlichem Licht wurde hingegen aus dem Altbau in den Neubau übernommen. Die bis zu sechs Meter hohen Wände aus Basalt bieten als klassische White Cubes ausreichend Raum zum Wirken der neu gehängten Sammlung Ströher. Letztere umfasst über 2000 Werke, um die 300 sind nun zu sehen.
In manchen Sälen finden sich Reihen kleinerer Gemälde. Andere beherbergen Großformate von Richter oder Abstraktionen von Erwin Bechtold, dessen Vorliebe für Schwarz einen erfrischenden Konterpart zu den hellen Wänden setzt. Skulpturen des Jagdfliegers Gerhard Hoehme treffen auf Werke von Wols, der den Zweiten Weltkrieg im französischen Exil verbrachte. Es gibt ganze Werkgruppen oder Nachbarschaften von Lehrern mit ihren Schülerinnen und Schülern, deren Ansätze man vergleichend studieren kann. Eine kunsthistorische Lehrstunde also und zugleich ein Porträt des Sammlerpaars. Beides sichert in Verbindung mit der spektakulär unspektakulären Architektur dem MKM einen festen Platz auf der Karte der Kunstliebhaber.