Ausstellungen / Was schwer verheilt

Man hört ihre Wut. Während die Kamera ästhetisch beleuchtete Köpfe und Körper aus Holz umkreist, spricht eine Stimme aus dem Off über Kolonialismus. Das historische Filmmaterial ist Propaganda, eine Ode an die kongolesische Skulptur – aus der Sicht ihrer neuen Besitzer. Der belgische Künstler Paul Haesaerts gab sich 1958 dafür her. Und der ebenfalls belgische Filmemacher Matthias De Groof legt nun über dieses zweifelhafte Dokument einen schneidend präzisen Kommentar, der die Kolonisatoren als kulturelle wie wirtschaftliche Plünderer beschreibt.

Das Verblüffende an „Under the White Mask: The Film That Haesaerts Could have made“, ein Beitrag des Forum-Expanded-Programms der Berlinale: Auch der von der Poetry Slammerin Maravilha Munto gesprochene Text „Über den Kolonialismus“ stammt aus den Fünfzigerjahren. Die Frage nach Provenienz und Aneignung eroberter Kultur wird seit geraumer Zeit geführt. Man muss schon sehr borniert sein, um diesen Diskurs mehr als ein halbes Jahrhundert lang zu ignorieren. Das betrifft uns alle, und De Groof legt mit seiner Montage einen Finger in die entzündliche Wunde.

„Closer to the Ground“ lautet der Titel des aktuellen Forum Expanded. Es versammelt mediale Beiträg, die zwischen Film und bildender Kunst oszillieren, und wer die stets sehenswerte Ausstellung – die weit länger als die Berlinale dauert – kennt, erinnert sich an Ausgaben mit weit mehr installativen Beiträgen. Es mag der Pandemie geschuldet sein, dass in dem zum Kulturquartier „Silent Green“ umgenutzten ehemaligen Krematorium in Wedding nun vorwiegend „Flachware“ zu sehen ist.

Experimentelle Ausnahmen laufen dann auch mal über mehrere Projektionsflächen wie die 3-Kanal-Videoarbeit „The Lighting“, in der es um das diskriminierende Moment von Kameras geht, die dunkle Hauttöne automatisch aufhellen. Ein Film wie „Shadowboxing“ von Abdi Osman, der in der einstigen (nie genutzten) Leichenhalle einen klinisch weißen Raum zur Aufführung gewählt hat, erzählt dagegen doch sehr klassisch über queere Räume in Toronto. „The Song of the Shirt“, Kerstin Schroedigers Reflexion über die Kleiderindustrie in Polen und Ägypten, hat immerhin einen Raum aus gewebter Baumwolle um sich herum, und für „The Wake“ tritt man in ein Rechteck aus von der Decke herabhängendem Stoff, die einen von allem anderen isolieren. Was gut ist, denn die mehrteilige Arbeit des Ensembles The Living and the Dead über Flucht, Aufbruch und Allianzen spielt an diversen Orten und ist akustisch ähnlich intensiv wie visuell, so dass sie die volle Konzentration braucht.

Es gibt leichtere Kost, doch auch das Video von Maya Schweizer über den Münchner Untergrund bewegt sich im Wortsinn am Boden, schaut genau hin und folgt damit den Erwartungen, die das Forum Expanded mit seinem Titel weckt. Es geht um die Wege der Isar unter der Stadt. Um Abwasserkanäle von durchaus poetischer Kraft. Sobald die Kamera auftaucht, verknüpfen sich Vergangenheit und Gegenwart jener Metropole, die von Hitler überaus geschätzt wurde. Letztlich ist  „Voices and Shells“ ebenfalls voller politischer Implikationen, bloß nicht so explizit wie die anderen Beiträge aus dem diesjährigen Programm. Eingefasst wird es von Neonskulpturen, die Namen ehemaliger Kinos formen. „Das Kino Projekt“ ist ein reisendes Projekt mit Videos bildender Künstler und Künstlerinnen. Es wird Mitte März in Berlin gastieren und den Radius der Berlinale noch einmal um ein hiesiges Autokino erweitern.

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