Das 100-jährige Jubiläum des Museum Folkwang in Essen vereint zwei Spitzensammlungen der Moderne in einer spektakulären Ausstellung
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03.02.2022
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Erschienen in
Kunstplaner 2022
Ein bekanntes Foto: Der Mann mit dem schlohweißen Bart wirkt so liebenswürdig wie verschlossen. Sein schwarzer Anzug ist viel zu warm für die brennende Sonne. Eine Figur, die so offensichtlich aus dem 19. Jahrhundert stammt und doch so etwas wie Modernität ausstrahlt. Das Foto zeigt Paul Cézanne 1906 im südfranzösischen Aix. Gemacht wurde es von Gertrud Osthaus, der Ehefrau und Beraterin des westfälischen Kunstsammlers Karl Ernst Osthaus. Osthaus hatte knapp vier Jahre zuvor das Folkwang Museum in seiner Heimatstadt Hagen gegründet, mit dem erklärten Ziel, möglichst vielen Menschen die Schönheit moderner Kunst zu vermitteln. Nun versuchte er etwas, was damals unter Sammlern völlig unüblich war: Er machte einen Atelierbesuch und wollte direkt ein Werk des großen Malers erstehen, ohne den Umweg über die Pariser und Berliner Kunsthändler zu gehen. Doch der Plan ging nicht auf. Cézanne starb nur wenig später, und das Ehepaar Osthaus musste seine Bilder doch bei Ambroise Vollard in Paris kaufen.
Ein weiteres bekanntes Foto, etwa 15 Jahre später aufgenommen: Zwei Männer in hellen Sommeranzügen, Claude Monet und Kojiro Matsukata, schauen in die Kamera, Zigarren in der Hand, ein Lächeln auf den Lippen. Trotz der formvollendeten Krawatten wirkt die Stimmung gelöst. Der japanische Sammler war nach Giverny gekommen, um Bilder für ein Museum namens Kyoraku Bijutsukan zu kaufen, das er in Tokio gründen wollte, frei übersetzt ein „Museum für den gemeinsamen Genuss“. Dessen Konzeption war der des Museums von Osthaus nicht unähnlich. Matsukata verspürte einen besonderen Trost, wenn er mit der aktuellen europäischen Kunst in Berührung kam. Den wollte er einem breiten Publikum in Japan vermitteln. Sein Atelierbesuch war von größerem Erfolg gekrönt als der seines Sammlerkollegen. Es gelang ihm, gleich 16 Werke des Großmeisters zu erstehen, und fünf Monate später, als er ihn erneut besuchte, durfte er noch einmal 18 Bilder kaufen.
Die Ergebnisse beider Atelierbesuche lassen sich vom 6. Februar bis zum 15. Mai 2022 in der Ausstellung „Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Welt“ im Museum Folkwang in Essen bestaunen, die die Sammlungen von Matsukata und Osthaus zusammenführt. In Cézannes „Haus auf bewaldeter Anhöhe mit Taubenschlag“ (1892) kommen die Betrachtenden mit dem strahlenden Morgenlicht Südfrankreichs in Berührung, voll Zärtlichkeit und Melancholie. Stellenweise durchbrechen eigentümliche Siena, Ocker und Umbratöne das Grün des Waldes, in „Steinbruch von Bibémus“ (1895), im selben Raum, erhalten diese ihren eigenen großen Auftritt. Umgeben sind die beiden Bilder von Werken der Postimpressionisten Henri Edmond Cross und Paul Signac, die Cézanne und seiner tonalen Fraktur von Blick, Licht und Farbe so viel, eigentlich alles zu verdanken haben.
Einige von Matsukatas Monets haben in Essen ihren eigenen Raum bekommen. Schritt für Schritt kann man dort erleben, wie sich das Licht in den mit einer agilen, fast schon schlafwandlerischen Genauigkeit gesetzten Pinselstrichen des Malers mit den Jahreszeiten verändert. Die leicht violetten Brechungen des Winterlichts in „Schnee in Argenteuil“ (1875). Das verschwommene, wassersatte Frühlingssturmlicht in „Stürmische See bei Pourville“ (1897). Die klare, intensive Spätsommersonne in „Blick auf Vétheuil“ (1902). Wenn man die Gemälde lange genug anschaut, kann man dieses Licht, wie so oft bei Monet, förmlich auf der Haut spüren.
Dass die Sammlungen von Osthaus und Matsukata in Essen zusammenkommen, ist ein ungeheurer Glücksfall. Viele der Bilder sind zum ersten Mal seit über sechs Jahrzehnten wieder in Europa zu sehen. Und dass all das im Jubiläumsjahr des Museums Folkwang passiert – vor genau hundert Jahren kaufte die Stadt Essen die Sammlung des früh verstorbenen Osthaus und eröffnete das heutige Museum Folkwang –, wirkt fast wie eine Fügung. In der Begegnung der beiden Sammlungen entsteht ein Bilderreigen, den man nur als hochkarätig beschreiben kann.
Renoirs legendäre „Lise mit dem Sonnenschirm“ (1867), eines der Hauptwerke des frühen Impressionismus und eines der ersten Kunstwerke, die Osthaus kaufte, trifft hier etwa auf Manets lebensgroßes „Porträt von Monsieur Brun“ (1879) Matsukatas, und man darf dabei sein, wie beide Porträtierte in Sonntagskleidung einen Spaziergang in einem lichten, frühsommerlichen Park machen. Die Pleinair-Bilder der Barbizon Schule um Courbet und Corot sind mit Arbeiten aus beiden Sammlungen vertreten, ebenso wie die traurigschönen Landleben-Szenen von Pissarro.
In einem eigenen Raum nehmen gleich zwölf Bronzen von Rodin, für beide Sammler ein Steckenpferd, mit fast schon feierlichem Ernst eine Unterhaltung auf. Und nicht zuletzt kommt es zu einem kleinen Gipfeltreffen der Bilder Gauguins und van Goghs, den zeitweiligen Freunden, die sich in Arles ein Atelier teilten.