Die schönsten Ausstellungen im April: Frida Orupado im Fotomuseum Winterthur, ein Mammut-Skelett mit dem Spitznamen Heiner und die Wut auf Paul Gauguin
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31.03.2022
Die Darstellung des schwarzen weiblichen Körpers in Frida Orupados Werken ist keine homogene, sondern eine gebrochene. So wie auch dieser Körper selbst in den vergangenen fünf Jahrhunderten durch verbrecherische Hände und abfällige Augen allzu häufig Misshandlungen, Verletzungen und Bewertungen erleiden musste. Die 1986 geborene Norwegerin mit nigerianischen Wurzeln zerschneidet Fotografien aus der Ära des Kolonialismus und des Sklavenhandels und setzt die Einzelteile in Collagen neu zusammen, wobei sie auch Elemente heutiger Aufnahmen aus den Bereichen der Ethnologie oder der Popkultur daruntermischt. Die so entstehenden hybriden Wesen wirken durchaus ambivalent: Manchmal verweisen die verformten Glieder direkt auf die erlittenen Qualen im Kolonialismus, doch in vielen Werken scheint auch eine enorme Resilienz auf, deren utopische Kraft den reinen Abbildungscharakter überschreitet. Das ist das Wunder von Orupados Kunst, das auf der letzten Venedig-Biennale zu recht gefeiert wurde und nun in Winterthur erneut zu erleben ist.
Ziemlich alte Knochen besaß die junge Nation. Das war dem Politiker Thomas Jefferson bewusst. Daher wurmten ihn die wenig fundierten Bemerkungen des französischen Forschers Comte de Buffon, der einfach behauptete, auf dem amerikanischen Kontinent sei in der Natur alles ein bisschen kleiner und degenerierter. Der Hauptverfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung mochte diese Arroganz der Alten Welt nicht auf sich sitzen lassen: 1801 – das heißt in dem Jahr, in dem er zum dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde – unterstützte Jefferson die Ausgrabung eines gewaltigen Mammutskeletts im Hudson River Valley. Von der Presse als „Neuntes Weltwunder“ gefeiert, wurden die fossilen Knochen in Philadelphia gezeigt und entwickelten eine Anziehungskraft, der sich auch Alexander von Humboldt auf seiner Amerikareise nicht entziehen konnte. Die Ausgrabung hatte damals der Künstler und Naturaliensammler Charles Willson Peale organisiert, der das Mammut in seinem Privatmuseum zeigte und später die Arbeiten an der Fundstätte in einem Gemälde verewigte. Nach Peales Tod wurde das Skelett 1854 über den Umweg Paris und London nach Darmstadt verkauft. In den vergangenen Jahren war es zu einem Gastauftritt in Washington, doch nun ist das mit dem Spitznamen „Heiner“ als echter Darmstäder ausgezeichnete Urtier zurück in Hessen – und Mittelpunkt einer Schau, die zeigt, wie Natur und Politik, Kunst und Wissenschaft in den Anfangsjahren der Aufklärung zusammenwirkten.
Kunsthalle Mannheim, bis 3. Juli
Ein Gespür für den Zeitgeist beweist Hanna Nagel bereits, als sie 1925 ihr Studium an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe aufnimmt. Denn dort regiert die Sichtweise der Neuen Sachlichkeit. Die junge Künstlerin nimmt den Blick auf: Ihr 1929 entstandenes Werk „Bei Hubbuch (Modellstudie)“ zeigt relativ unverblümt eine korpulente barbusige Frau mit modernem Kurzhaarschnitt und groben Schuhen auf einem Stuhl sitzend und verweist zugleich auf den Künstler Karl Hubbuch, der damals in Karlsruhe als Professor unterrichtete. Ein Jahr später folgt, nun schon in Berlin geschaffen, ein Bild, das sich in der Figurenkonstellation am Gemälde „Selbstporträt“ (1927) von Christian Schad, einem weiteren Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit, orientiert. In Nagels Werk hat allerdings der auf der Bettkante sitzende Mann Würmer im Kopf und aus der linken Brust der liegenden Frau rollen Münzen: „Das reiche Herz“. Das Beziehungskisten keine einfache Angelegenheit sind, zeigen auch die Arbeiten „Die Ehe“ (1930), bei der beide Partner gleichermaßen ins Joch gezwängt sind oder „Die mühevolle Ehe“ (1931), in der sie gemeinsam einen Karren mit Kindern ziehen. In der Drastik ihrer Rollendarstellungen bieten Nagels Bilder in Mannheim die hochinteressante Wiederentdeckung einer lange übersehenen Künstlerin.
Alte Nationalgalerie, Berlin, bis 10. Juli
Kleines Kuriosum: Das Bild, das der Schau ihr Arbeitsmotto gab, ist gar nicht in der Ausstellung zu sehen, sondern hängt in Chicago. 1896 malte Paul Gauguin darin im Vordergrund drei junge Tahitianerinnen im Gespräch und stellte die Titel die berühmte Frage: „Why are you angry?“ Warum bis du wütend? Naja, wahrscheinlich, so denkt man, weil der 1848 in der Metropole Paris gutbürgerlich geborene Maler seinen eigenen Fantasien hinterherreiste und sich in Polynesien als „edler Wilder“ im irdischen Paradies fühlte – während in seiner Malerei dann aber doch unfreiwillig das ganze Machtgefälle zum Ausdruck kam, das eben die Kunst in dieser Epoche vorrangig beherrschte: Männlicher Maler gegenüber weiblichem Modell, reich gegenüber arm, Kolonialist gegenüber ausgebeuteten Ureinwohnern. Wir erinnern uns, das war schon in den 1970er-Jahren postkolonialer Forschungsstand. Das dieser aber aktuell mit Vehemenz in die Museen drängt, zeigt einerseits, dass man dort zu lange unbedarft auf die zugegebenermaßen auch jetzt noch grandiose Malerei geblickt hat: Immerhin elf prachtvoll farbige Bilder Gauguins wie „Vahine no te Tiare“ (Frau mit Blume) werden ausgestellt, die zum größten Teil aus der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen stammen. Andererseits sind die Zeiten so weit vorangeschritten, dass man diese Werke ohne kontextuelle Einordnung eigentlich nicht mehr sehen will. Und so ist es kuratorisch clever, dass die Ausstellung zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler auf Gauguin antworten lassen: Der Film „Why are you angry?“ (2017) von Rosalind Nashashibi und Lucy Skaer etwa gibt Tahitianerinnen die Chance zur hierarchiefreien Eigendarstellung.
Kann es Formwillen ohne Bewusstsein geben? Das fragten sich bereits die Surrealisten, aber das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe blickt nun noch viel weiter zurück in eine Zeit, in der die Jahre nicht einzeln, sondern in Hunderten von Millionen gezählt werden: Zur Ausstellung „The Beauty of Early Life“ steuert das Staatliche Museum für Naturkunde Karlsruhe zahlreiche Fossilien bei. Die Relikte aus den Geburtsäonen unserer Welt werden nun aus einem ästhetischen Blickwinkel betrachtet – bieten sie doch bis heute Anregungen für die Kunst. Sie treffen nun in der Schau auf Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die sich seit den 1920er-Jahren von diesen „Urformen“ inspirieren ließen. Klassisch moderne Positionen wie die organischen Formen des surrealistischen Malers und Bildhauers Hans Arp faszinieren dabei genauso wie etwa die Thrombolithen – lebende Steine aus frühester Erdgeschichte –, die James Darling und Lesley Forwood kunstvoll aus Wurzelholz nachbilden und mit zukunftsweisender Videoprojektionstechnik kombinieren.