Fotokünstler Jochen Lempert

Ein zarter Blick

Die Fotografie von Jochen Lempert zeugt von ungewöhnlicher Sinnlichkeit im Blick auf die Natur. In der Ausstellung des Künstlers im Portikus in Frankfurt kommt dies besonders schön zur Geltung

Von Catherine Peter
22.03.2022
/ Erschienen in Künstler Jochen Lempert

Die Insel, auf der sich das Portikus befindet, ist ein Naturschutzgebiet, bewohnt von kanadischen Wildgänsen, Nilgänsen und Höckerschwänen. Aus dem Innern des Gebäudes geben die Fenster den Blick auf den Main und die Inselflora frei. Nun sind etwa siebzig Bilder des Hamburger Fotografen Jochen Lempert (geb. 1958 in Moers) auf zwei Ebenen der Kunsthalle zu sehen. Der studierte Biologe arbeitet seit dreißig Jahren unbeirrt an einem Werk, das wie eine künstlerische Variation dieses Fachs gedeutet werden kann. Zu sehen sind Alltagsbeobachtungen der Natur. Malven, die an einer Ampel hochranken, ein Käfer, der über einen Finger krabbelt, Hände, die mit einem Stückchen Holz spielen, oder ein Pilz, der wie ein Hut aus dem Gestrüpp ragt. Dazu kommen abstrakte Motive, Spuren, Muster oder zart Getupftes, wie bei „Sand“ (2020), einer Großaufnahme von Sandkörnern. Im Obergeschoss sind die Arbeiten ungerahmt an den Wänden installiert, im Untergeschoss werden die Wandarbeiten von vier Vitrinen ergänzt, in denen Arbeitsabzüge des Fotografen ausgelegt sind und die einen Einblick in sein poetisches Kombinationssystem geben. 

Die konsequent analoge Arbeitsweise, von der Aufnahme über die Entwicklung bis zum Abzug, zeichnet Lemperts Fotografie aus. In diesem Prozess bieten sich dem Künstler zahlreiche Eingriffsmöglichkeiten in das Material, die er ganz bewusst nutzt. Die Bilder unterscheiden sich oftmals durch eine starke Körnung, eine Überbelichtung oder weiche Kontraste. Dies ermöglicht ihm auch einen freien Umgang mit Formaten, was er spielerisch einsetzt. Der nicht einmal briefmarkengroße Abzug, der einen Marienkäfer zeigt, illustriert dies in der Ausstellung auf humorvolle Weise. 

Von einer zehn jährigen Mitgliedschaft im Experimentalfilmkollektiv Schmelzdahin ist ein Denken in Sequenzen geblieben, dass in die fotografische Arbeit übergegangen ist. Jochen Lemperts Werk hat eine konzeptuelle Basis, die das Einzelbild in weiteren Zusammenhängen denken kann. Oft werden Bilder zusammengeführt, sie sind Sequenzen desselben Moments oder ergänzen sich als „Paare“, wie in zwei der Vitrinen dargestellt. Ein wiederkehrendes Sujet sind fotografierte Details von Gemälden, wie der ausgestellte Ausschnitt des ins Wasser gleitenden Fußes der „Jeune Baigneuse“ von Courbet, den Lempert anderen Aufnahmen gegenüberstellt. Was an wissenschaftliche Methoden erinnert, ist ein künstlerisches Verfahren, dass die Tier- und Pflanzenwelt in einen persönlichen Atlas einträgt, der das Besondere am Gewöhnlichen zum Vorschein bringt und Verwandtschaftsbeziehungen vorschlägt.  

Der in den 1920er-Jahren entwickelte Anspruch an die Fotografie, ein neues Sehen auf die Welt zu ermöglichen, erfährt in den Arbeiten von Jochen Lempert eine zeitgenössische Variation. Dem Fotografen gelingt es, das biologische Leben, von dem wir umgeben sind, so aufzunehmen, dass der Moment in den Vordergrund tritt. Es sind kurze Gegebenheiten des Zufalls und des Lichts, die von einem zärtlichen Blick und einem besonders aufmerksamen Auge wahrgenommen werden. Die Aufnahmen entstehen in der direkten Umgebung des Künstlers, meist in Hamburg, wo er lebt. Auch am Morgen der Ausstellungseröffnung trägt Jochen Lempert die analoge Kleinbildkamera um die Schulter. Ob er schon wisse, was er als Nächstes fotografieren wird, wird er gefragt. Vielleicht Giraffen, so die Antwort. Doch eigentlich ist ihm kein Blick in die Zukunft möglich.  

Service

AUSSTELLUNG

Jochen Lempert

Portikus, Frankfurt am Main

bis 5. Juni 2022

portikus.de

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