Neben der zentralen Ausstellung sind die Pavillons der Länder die Hauptattraktion der Biennale in Venedig. Wir stellen die spannendsten vor. Teil 2: Belgien bis Neuseeland
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22.04.2022
Die Niederländer gewinnen den Sympathiepreis der diesjährigen Biennale. Sie überließen ihren schmucken Gerrit-Rietveld-Pavillon im Giardini dem Mitbewerber Estland, der so im Spiel der großen und finanzstarken Nationenpavillons auftreten kann. Stattdessen bespielt die niederländische Künstlerin Melanie Bonajo die ehemalige Kirche Chiesetta della Misericordia aus dem 13. Jahrhundert und verwandelt sie in einen regenbogenbunten Wohlfühlort. Besucherinnen und Besucher können es sich nach langen Biennale-Spaziergängen auf farbenfrohen Kissen auf dem Fußboden gemütlich machen und eine Videoarbeit über Liebe, Sex und echte Nähe schauen. Was will man nach kargen Jahren der Pandemie mehr?
Francis Alÿs bekam für seinen belgischen Pavilon eine Menge Vorschusslorbeeren, und er enttäuscht die Erwartungen nicht. Seine mehrteilige Videoarbeit „The Nature of the Game“ ist poetisch, wahrhaftig und bewegend. Wie ein vergleichender Anthropologe filmte der Künstler Kinder aus verschiedensten Gegenden der Welt beim Spielen. Auf hohen Videowänden sieht man Mädchen und Jungen in Afrika, die singend und tanzend einen Mosquitoschwarm in Schach halten, oder eine kleine Schar im Irak, die ohne Ball Fußball spielt, weil das Ballspiel haram, also verboten ist. Zum Gesamtkunstwerk wird das Ganze durch Alÿs’ zauberhaft präzise kleinformatige Gemälde aus den Jahren 1994 bis 2021. Ein anrührender Blick auf die Resilienz von Kindern und Facetten des Menschseins.
Der slowenische Pavillon zeigt vorbildlich, wie man Malerei gekonnt in Szene setzt. Gewidmet ist er dem Maler Marko Jakše, der 1959 in Ljubljana geboren wurde und seit 30 Jahresn seiner ganz eigenen künstlerischen Vision folgt. Die Wände des Pavillons im Arsenale sind in schwarzes Tuch gehüllt, sodass der Fokus ganz auf den hervorragend beleuchteten Gemälden liegt, die – Kirchenfenstern gleich – geradezu von innen heraus zu strahlen scheinen. Sie zeigen eine surreale Welt aus gepfählten Kühen, klagenden Eisbären und bedrohlichen Kaninchen, die auch gut in Cecilia Alemanis Hauptausstellung „The Milk of Dreams“ gepasst hätte und die nun dank der Präsenz auf der Biennale hoffentlich international bekannter wird.
Mit Transgender und dem Kolonialismus in der Kunstgeschichte geht der neuseeländische Pavillon gleich zwei wichtige Themen der Gegenwart auf sehr spielerische Weise an. Und er steht zugleich für einen Trend der diesjährigen Biennale, nämlich die indigene Bevölkerung des jeweiligen Landes zu Wort kommen zu lassen, wie es etwa auch der nordische Pavillon mit seinen Sami-Künstlerinnen und -Künstlern tut. Yuki Kihara, die Künstler:in, gehört zu den Fa’afafine, einem dritten Geschlecht in Samoa zwischen Frau und Mann. Sie/Er setzt sich in der aufwendigen Installation aus Fotografien, Wandekorationen und einer Fernsehshow mit Paul Gauguins Südseebildern auseinander. Yuki Kihara setzt die Gemälde neu in Szene und macht sich die europäisch-kolonialistische Projektion zu Eigen – bis hin zur Verwandlung in den französischen Maler! Das ist ebenso überraschend wie lehrreich.