Fotografie in Düsseldorf

Denken und Hoffnung

„Think We Must“, die Hauptausstellung der Düsseldorf Photo+ Biennale, trifft den Nerv der Gegenwart: Welche Rolle bleibt für die Kunst in Zeiten des Krieges?

Von Catherine Peter
17.05.2022

Der Titel der Ausstellung zitiert die englische Autorin Virginia Woolf. In dem Essay „Drei Guineen“, 1938 in London veröffentlicht, antwortet sie auf die Frage, die ein unbekannter Herr ihr in einem Brief stellte: Wie lässt sich ihrer Meinung nach ein Krieg verhindern? In drei Kapiteln schildert sie ausführlich, warum dies, als Frau in dieser Gesellschaft, nicht in ihrer Macht liegt. Doch eins kann einem nicht verweigert werden und wird für sie zur Pflicht: „Denken müssen wir“.  Joseph Beuys formuliert es später ähnlich: „Wer nicht denken will, fliegt raus“. Denken als Notwendigkeit, Denken als politisches Mittel für den individuellen Menschen. Kunst, nicht vordergründig als ästhetische Erfahrung, sondern als Ergebnis einer Auseinandersetzung und als Möglichkeit einer Anregung zum Nachdenken und Hinterfragen. Dies ist der von Pola Sieverding und Asya Yaghmurian gewählte Ansatz für die gemeinsam kuratierte Gruppenausstellung in der Akademie Galerie. Die Schau findet im Rahmen der zweiten Ausgabe der Düsselforf Photo+ Biennale statt. Durch die ganze Stadt sind bis Mitte Juni über 50 Ausstellungen zum Thema Fotografie und Medienkunst zu sehen.

Je mehr man etwas über ein Werk weiß, desto größer die Chance, dass Kunst etwas vermitteln kann, erklärt Pola Sieverding in ihrer Eröffnungsrede. In diesem Sinn wird die Ausstellung von einer Broschüre begleitet, die jede der sechzehn ausgestellten Arbeiten einzeln vorstellt. Im ersten Raum wird das Individuelle thematisiert, unter anderem mit Arbeiten, die sich mit dem Genre des Portraits auseinandersetzen. Als Helmar Lerski Mitte der dreißiger Jahren 140 Portraits des Bauingenieurs Leo Uschatz realisierte, war dies gezielt als Antwort auf August Sanders Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderten“ gemeint. Mit „Verwandlungen durch Licht“beweist Lerski, wie wandelbar, allein durch ständig wechselnde Lichtverhältnisse, das menschliche Gesicht seien kann. Zehn dieser Portraits, eine Leihgabe des Museum Folkwang, stehen der Arbeit „Glitter in My Wounds“ (2021) von Adam Broomberg gegenüber. Als Broomberg die Berliner Schauspielerin und Transfrau Gersande Spelsberg fotografierte, bezog er sich auf diese gegensätzliche Auffassung des Portraits in der Geschichte der Fotografie: an einem einzigen Tag, innerhalb von neun Stunden, entstanden 100 Arbeiten. Das Innenleben einer Person bleibt einem, trotzt andauernder Beobachtung durch die Linse, verborgen. Auf eine ganz andere Art und Weise befasst sich die Künstlerin Estefanía Landesmann mit dem Portrait. Ihre Arbeit „Retrato (Cuerpo de Obra)“ ist eine Skulptur, bestehend aus 9000 gestapelten gedruckten Papierbogen. Das eigentliche Portrait bleibt zwischen den Seiten verborgen. 

Estefania Landesmann
Die Künstlerin Estefania Landesmann vor ihrer Skulptur „Retrato (Cuerpo de Obra)“. © Foto: Catherine Peter

Im Voranschreiten durch die Ausstellung wird der politische Aspekt deutlicher. Die Videoarbeit des palästinensischen Künstlers Shadi Habib Allah „Dag’aa“ dokumentiert eine beduinische Schmugglerzone auf der Sinai-Halbinsel in Ägypten. Die Collagen „Better Be Watching The Clouds“ von Walid Raad stellen ironisch die Köpfe von Diktatoren in biologischen Tafeln dar. Die Fotoserie „Line of Site“ zeigt modifizierte Pressefotografien von russischen und ukrainischen Artilleriestellungen im Donezbecken. “We should not fall for one narrative”: “Wir sollten uns nicht für eine einzige Darstellung entscheiden“ erklärt die Kuratorin Asya Yaghmurian, während wir uns das Video „Falling Together in Time“ von dem Mexicanischen Künstler Mario Garcia Torres anschauen. Hier geht es um erstaunliche Zufälle, die sich um einen von Muhammad Ali verhinderten Selbstmordversuch zugetragen haben. „Jump“ der Welthit der Band Van Halen wurde nämlich im gleichen Jahr in derselben Stadt komponiert. Dieses Lied wünschte sich dann ein Autofahrer von einem Radiosender, während er auf einer Brücke im Stau stand. Was er nicht wusste: der Grund des Staus war eine Frau, die zur gleichen Zeit von derselben Brücke springen wollte. Und und und. Dieser ungewisse Ausgang, den auch das künstlerische Denken mit sich bringt, wird in der Ausstellung treffend aufgezeigt.

Walid Raad Düsseldorf Photo
Die Collagen „Better Be Watching The Clouds“ von Walid Raad stellen ironisch die Köpfe von Diktatoren in biologischen Tafeln dar. © Courtesy of the artist and Sfeir-Semler Gallery Beirut/Hamburg

Service

DÜSSELDORF PHOTO+

Biennale for Visual and Sonic Media

13. Mai bis 19. Juni 2022

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„Think We Must“

Kuratiert von Pola Sieverding und Asya Yaghmurian

Akademie-Galerie – Die Neue Sammlung

13. Mai bis 19. Juni 2022

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