Die Alte Pinakothek in München feiert die ausdrucksvolle Pastellmalerei des 18. Jahrhunderts
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23.06.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 200
Auf dem Weg zum großen Saal begegnet man zunächst Ölgemälden – eine Auswahl an Werken von Johann Jakob Dorner, Jean-Baptiste Greuze, Francesco Guardi oder Johann Georg Platzer, zusammengefasst zum Themenspektrum „Eleganz, Schauspiel und Natur“. Mit diesem Kontrapunkt ist der Besucher sensibilisiert für die eigentlich anvisierte Ausstellung über die Pastellmalerei, die der Zeichner und Kupferstecher Christian Ludolph Reinhold 1786 treffend charakterisierte: „Diese Staubmahlerey, welche der Wind, der Othem und der geringste Anfall auslöschet, ist beynahe die beste welche man hat. Man findet in ihr den lebhaftesten und sanftesten Ausdruck.“
Dieser Ausdruck unterscheidet das Pastell vom Ölbild. Einerlei, um welches Motiv es sich handelt, wohnt allen Pastellen ein gewisser Zauber inne. Die Technik erfordert keine großen Vorbereitungen oder lange Modell-Sitzungen. Dank der künstlich hergestellten Farbstifte aus getrockneten Pigmenten warfen die Pastellmaler ihre Sujets mit rascher Hand aufs Papier oder Pergament. Doch ist die Pastellmalerei sehr empfindlich und bedarf des Schutzes durch Verglasung.
Rund zwanzig Bilder gewähren nun in der Alten Pinakothek anhand des Münchner Bestands einen facettenreichen Einblick in die Glanzzeit der Pastellmalerei im 18. Jahrhundert. Gleichzeitig führen sie die enge Verbindung bayerischer und französischer Herrscher mit dem Blick erfolgreicher Künstlerinnen und Künstler vor Augen, die sich in Paris dieser mondänen Technik verschrieben hatten.
Joseph Vivien, 1657 in Lyon geboren, wurde als „Van Dyck der Pastellmalerei“ gepriesen. Zu Recht, wie die Schau belegt. Um 1700 entstand sein repräsentatives Kniestück von Kurfürst Max II. Emanuel, Statthalter der Spanischen Niederlande und erfolgreicher Feldherr gegen die Osmanen, in Prunkrüstung und wallender Allongeperücke. Erstaunlich sind die Maße des Bildes von 132,5 mal 106 Zentimetern, denn als Malgrund diente Papier, das aus acht Bögen zusammengesetzt auf eine Leinwand im Spannrahmen aufgebracht wurde.
Auch für Viviens fünfteilige Serie großer Standesbildnisse des Grand Dauphin nebst Gattin und den drei herzoglichen Söhnen gilt der bayerische Kurfürst als Auftraggeber. War die Dauphine Maria Anna Christine Victoria von Bayern doch Max Emanuels Schwester. Der Künstler selbst präsentiert sich in seinem 30 Jahre später gemalten Konterfei mit Pelzmütze und Kreidegriffel. Sein distanzierter Blick ist auf den Betrachter – oder sein Selbstbildnis im Spiegel – gerichtet.
Lange bekannt, eroberte die Pastelltechnik erst um 1665 einen Platz in der Académie royale de peinture, bevor sie im Frankreich des 18. Jahrhunderts ihre höchste Blüte erlebte. So stieg Maurice Quentin de La Tour um 1735 in Paris zum renommiertesten Pastellmaler auf: Der Finanzier Jean-Baptiste Philippe mit weißer Allongeperücke, verzierter Weste und spitzenbesetztem Hemd fordert den Betrachter 1748 mit skeptisch lächelnden Blick heraus, während die Porträtierte auf „Mademoiselle Ferrand meditiert über Newton“ um 1752 in Seidenrobe mit Spitzenhäubchen vor einem Riesenfolianten des Wissenschaftlers sitzt und dem Betrachter ein intelligentes Lächeln schenkt. Blickkontakte überall.
Seit den 1720er-Jahren feierte die Venezianerin Rosalba Carriera in Paris Erfolge mit weiblicher Schönheit wie dem verträumten Antlitz der Parze Klotho, während der Genfer Maler Jean-Étienne Liotard um 1752 Rokoko-Genreszenen wie „Das Frühstück“ zart aufs Papier hauchte. Eine schlichtweg hinreißende Ausstellung!