Nest Collective aus Nairobi hat auf der Documenta ein Kino aus Abfallpaketen gebaut. Ein Gespräch mit Njoki Ngumi über Wegwerfmode, den Schmuggel von Müll und die falsche Sehnsucht nach Normalität
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17.06.2022
Die Kino-Installation „Return to Sender“ des Nest Collective aus Nairobi, Kenia fällt den Besuchern der Documenta Fifteen in den Kasseler Parkauen schon aus einiger Distanz auf. Aus der Nähe zeigt sich, dass es sich bei den bunten Stoff- und Kunststoffballen um Abfallpakete handelt, die das Kollektiv aus Kenia zurück nach Europa importiert hat.
Ihre Arbeit heißt „Return to Sender“. Worauf spielt der Titel der Arbeit an?
Njoki Ngumi Die Installation „Return to Sender“ besteht aus etwa sechzig Ballen aus Stoff und E-Schrott. In Form dieser Ballen überquert der vermeintlich wiederverwendbare Müll aus Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika das Mittelmeer und den Atlantischen Ozean und kommt so in meiner Heimat Nairobi in Kenya an. Dort werden diese Ballen dann zum Kilopreis verkauft, ohne dass die Käufer:innen sie vor der Erwerbung öffnen und inspizieren können. Häufig stellt sich erst nach dem Ankauf heraus, dass es sich um einen Haufen Müll handelt, der nicht weiter verarbeitet werden kann. Und je schneller Mode produziert, gekauft und wieder als überholt weitergegeben oder weggeschmissen wird, desto höher ist die Frequenz der ankommenden Müll-Pakete. Mit dieser Installation und dem dazu gehörigen Film möchten wir auf diesen Missstand aufmerksam machen: Es handelt sich um eine Art des scheinbar akzeptierten Schmuggelns von Abfällen unter dem Deckmantel der Hilfe und Nächstenliebe. In Wahrheit konfrontiert ein Großteil dieser Ballen die Empfängerländer mit einem unüberwindbaren Entsorgungsproblem, das die Emittenten selbst nicht in den Griff bekommen. Aber durch das Verschicken der Ballen entledigen sie sich ihrer eigenen Entsorgungsverpflichtung und lagern das von ihnen produzierte Problem aus.
Es steckt in dem Titel der Arbeit also eine Anklage.
Njoki Ngumi Unbedingt! Für mich transportiert der Titel eine ganz klare Botschaft: Hört damit auf Euren Müll in Länder wie meines zu verschiffen und kümmert Euch selbst darum!
Wie kam es zu der Idee des Films, den Sie in dem Kino zeigen, das Sie aus ebendiesen Ballen gebaut habt?
Njoki Ngumi Wir wollten über die sichtbare Anklage, die sich in den nach Nordeuropa zurücktransportierten Ballen manifestiert, hinausgehen und sie in den Ländern, aus denen sie ursprünglich kommen, neu kontextualisieren. Also haben wir eine Reihe von Interviews mit Expert:innen, Journalist:innen und Jurist:innen geführt, die sich mit dem Thema des Second Hand Marktes beschäftigen und seine Wege und die damit verbundenen Probleme erläutern. Und wir haben mit Aktivist*innen gesprochen, die sich dafür stark machen, dass dieses Thema insbesondere im Angesicht der Klimakrise dringend angegangen werden muss. Wir können nicht in einem Teil der Welt die Augen vor Problemen verschließen, für die es im anderen Teil der Welt auch keine Lösung geben wird.
Die Ballen werden also nicht nur an den Versender zurückgeschickt, sondern auch mit Informationen ausgestattet, die ihm nicht bekannt waren oder verdrängt wurden?
Njoki Ngumi Es geht uns darum, auf Realitäten hinzuweisen, die in den Ländern, die diese Ballen zu uns schicken, einfach nicht sichtbar sind. Dass sie nicht sichtbar sind, bedeutet aber nicht, dass sie nicht existieren. Für uns sind die Müllkippen neben den Schulen unserer Kinder eine Realität. Und natürlich arbeiten auch viele Menschen auf diese Müllkippen und sortieren diesen Müll eigenhändig aus. Das ist eine gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeit, aber sie müssen es tun, weil sie nur davon leben können. Ihr Überleben entspringt einer der fürchterlichsten Dystopien, von der so viele Menschen überhaupt nichts wissen. Es ist so einfach ein Hemd, auf das man keine Lust mehr hat zu „spenden“ und dabei ein gutes Gefühl zu haben. Aber tut man damit wirklich etwas Gutes? Was passiert mit dem Hemd, nachdem es in der Spendenbox verschwunden ist? Wo ist es? Und wo taucht es wieder auf? Diese Fragen stellen wir uns nicht mehr, wenn wir unser eigenes Gewissen beruhigt haben. Die Versender sollten genauer darüber nachdenken, was sie versenden. Darum geht es in dieser Arbeit.