Ein Fürst aus Fulda wurde einst der erste König der Niederlande. In Hessen lebt diese Geschichte nun in einer Ausstellung mit heutigem Design aus dem Nachbarland auf
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05.08.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 202
Nichts ist derzeit wie sonst in den Prunksälen des Fuldaer Stadtschlosses. Die meisten Möbel, Porträts und sonstigen Requisiten höfischer Wohnkultur sind ins Depot verbannt. Stattdessen finden sich die Paare, die aus dem Trauungsraum kommen, vor einer Fototapete mit Hochzeitsbildern holländischer Königinnen und Könige wieder, die zweihundert Jahre lang vorzugsweise Deutsche heirateten. Dazwischen die kubistische „Minimal Kiss Lamp“ des Künstlers Joep van Lieshout und eine Handtasche Königin Julianas mit einem Porträt ihres deutschen Gatten, Prinz Bernhard.
Geht man weiter, eröffnet sich eine außergewöhnliche Mischung aus historischen Artefakten und niederländischem Design der Gegenwart. Etwa in einem Kabinett mit blau-weißer Fayence aus Delft, wie es viele Barockschlösser besitzen. Hier aber wird es aufgemischt von Aluminiumtischen, die der Möbeldesigner Sebastian Brajkovic ziemlich abgefahren zwischen Rokokoformen und coolem Industriechic changieren lässt. Oder die Kombination der Holzwiege, in der seit mehr als 100 Jahren alle Königsbabys in Amsterdam schlummerten, mit einem Multifunktionsstuhl, den Studio Makkink & Bey 2014 für das Rotterdamer Rathaus entwarf. Irre auch Jesse Vissers Schrank aus Metallgittern, der vor dem Seidenbrokat der Wände ebenso edel aussieht wie gegenüber die Badewanne im Holzskelett von House of Thol.
Die Residenz der Äbte des altehrwürdigen Bonifatiusklosters, die Reichsfürsten waren und 1752 die Bischofswürde erlangten, ist heute Sitz der Stadtverwaltung. Inmitten der Behördenatmosphäre erinnern einige restaurierte Trakte an Fuldas Blütezeit im Barock. Und hier nun diese exzentrische Inszenierung, bis in die kleinsten Details raffiniert gestaltet. So wurde etwa ein Deckengemälde als Reproduktion auf eine Sockelplattform gespiegelt, darauf ein postmoderner Pseudorokokotisch, auf dem wiederum Tafelsilber aus Hollands Königsschatz den Barock ins Pompöse übertreibt. Wandspannungen tauchen als Kopien auf Vitrinensockeln wieder auf, doch den Gipfel dieser Blickführung bilden die eigens hergestellten Teppichläufer, die das Parkett samt Fugenmuster imitieren, aber auch Details aus einem Krönungsgemälde, die sanft auf Gazevorhängen schimmern. Und wer hätte geahnt, wie herrlich Kleinskulpturen der Fuldaer Porzellanmanufaktur vor und auf Tellern der Glasurvirtuosin Simone Doesburg zur Geltung kommen? Mit dem Begriff „Provinz“ sollte man vorsichtig sein, denn gerade in Deutschland finden an kleineren, auch entlegenen Orten immer wieder besonders aufregende Kunstereignisse statt.
Während alle Welt auf die Documenta in Kassel schaut, bietet das nur eine halbe Zugstunde entfernte Fulda eine der erstaunlichsten Ausstellungen dieses Sommers. Es geht um ein Herrscherhaus, um die Inszenierung von Macht, um kleine und große Geschichte. Aber nichts ist hier so dargestellt, wie wir es aus den üblichen kulturhistorischen Schauen kennen. Schon der Titel „Design & Dynastie“ ist ziemlich kurios. Was um Himmels willen ist damit gemeint?, so die erste Reaktion, doch dann offenbart sich sehr schnell, dass genau das eingelöst wird: Das Fürstengeschlecht Oranien-Nassau – angeblich bis in die Zeit Karls des Großen zurückreichend und ursprünglich aus dem südfranzösischen Orange stammend – wird mithilfe von Designobjekten und einer höchst subtilen Ausstellungsästhetik in die Gegenwart geholt. Die Geschichte geht dabei nicht unter, im Gegenteil: Die unerwarteten Zeitsprünge zwischen den Exponaten wecken erst recht die Neugier und das Interesse.
Im Zentrum der Schau steht Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau. Er kam 1772 in Den Haag zur Welt, als Sohn des letzten Erbstatthalters der Vereinigten Niederlande, die seit der bitter erkämpften Unabhängigkeit von Spanien eine republikanische Konföderation der sieben Provinzen mit Fürsten an der Spitze war. Als führende Dynastie des Landes wurden die Oranier 1794/95 von den französischen Revolutionstruppen ins Exil vertrieben, und nach Napoleons Eroberung des linksrheinischen Deutschlands verloren sie auch dort ihren Besitz, die nassauischen Stammterritorien. Als Kompensation erhielt Friedrich Wilhelm das neu geschaffene Fürstentum Fulda, wo er ab 1802 vier Jahre lang regierte. Bis er wegen seiner Beteiligung an Preußens Krieg gegen Frankreichs Imperator abermals zum Prinz ohne Land wurde.
Ein heimatloser Fürst in einem Ministaat mit weit verteiltem Streubesitz, das ist nicht gerade aufregend. Doch immerhin hinterließ Friedrich Wilhelm in seiner kurzen Fuldaer Zeit ein modernes Gymnasium, Innovationen in der Gesundheitsversorgung und dem Finanzwesen sowie die erste protestantische Kirchengemeinde in der erzkatholischen Stadt. Größere Bedeutung erlangte der Oranier dadurch, dass er 1815 – nach Napoleons Niederlage und der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress – als Wilhelm I. den Thron des neu gegründeten Königreichs der Niederlande samt den ehemals spanischen Südprovinzen bestieg. Er ist also Begründer der niederländischen Monarchie, die bis heute besteht. In die Geschichte ging Wilhelm als „Kaufmannskönig“ und als Paragrafenreiter ein, der mit Verordnungen, strenger Administration und Wirtschaftsförderung das Land zum fortschrittlichen Einheitsstaat ausbauen wollte. Wenig Feingefühl hatte er dabei für die Belange der Katholiken im Südteil, sodass dort 1830 eine Revolution ausbrach, die zur Abspaltung und zur Gründung des modernen Belgiens führte. Anhaltende Proteste gegen seine Politik ließen ihn 1840 abdanken. Wilhelm zog sich nach Berlin zurück, wo er 1843 starb.
Das alles klingt verzwickt und ist es auch. Eine konventionelle Historienschau hätte sich heillos in Daten und Dokumenten verloren. Das erkannte auch der Fuldaer Kulturamtsleiter Thomas Heiler, als man beschloss, zu Wilhelms 250. Geburtstag an den holländischen Aspekt der Stadtgeschichte zu erinnern. So kam die flamboyante Nicole Uniquole aus Den Haag ins Spiel. Die Kuratorin, Stilberaterin, Designexpertin, Entwicklerin von Ästhetikstrategien versteht sich auf große spektakuläre Gesten ebenso wie auf perfektionistische Detailarbeit, die nichts dem Zufall überlässt. Mit dem Ausstellungsgestalter Maarten Spruyt und der Historikerin Reinildis van Ditzhuyzen hat sie ein wahres Gesamtkunstwerk realisiert, in dem die höfische Welt der Oranier mit Leihgaben aus den königlichen Sammlungen in Dialog mit Objekten von rund 35 Designern, Künstlerinnen und Kollektiven gebracht wird.
Das Ganze ist keine lineare Erzählung, sondern eine impressionistische Folge von Schlaglichtern. Seien es die prägnanten Texte, die mit sympathisch holländischem Zungenschlag eingesprochenen Hörstationen, das wunderschöne Staatsservice von König Willem-Alexander, der gewaltige Kristalllöwe von Hans van Bentem als augenzwinkernder Verweis auf das Wappentier der Oranier oder Ted Notens ironische Paraphrasen von Luxusobjekten: Es ist eine Ausstellung, die einfach Spaß macht.
„Design & Dynastie. 250 Jahre Hofleben Oranien-Nassau“,
Stadtschloss Fulda,
bis 28. August 2022