Taring Padi

Bissiger Reis

Das Kollektiv Taring Padi ist mit antisemitischen Darstellungen auf der Documenta in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Wer ist die Gruppe, die den größten Skandal in der Geschichte der Weltkunstschau auslöste? Eine Begegnung in Indonesien

Von Nadine Freischlad
01.08.2022

Das Studio von Taring Padi liegt in einem sparsam bebauten Vorort im Süden der Stadt Yogyakarta. Der verzweigte Weg dorthin führt durch ein Wäldchen und ist gerade breit genug für ein Motorrad. Nichts weist darauf hin, dass es sich bei dem vereinzelt stehenden Backsteinhäuschen um den Hauptsitz eines der wichtigsten Kunstkollektive Indonesiens handelt. Alles ist menschenleer. Bis schließlich Surya Wirawan, genannt Yoyok, ein Gründungsmitglied der Gruppe, auftaucht, um den Boden zu fegen.

Taring Padi – der Begriff bedeutet direkt übersetzt so viel wie Reis-Fangzähne. Die Gruppe benannte sich nach den feinen, scharfen Härchen an der Außenseite von Reispflanzen. Sie können sich in der Haut festsetzen und einen Juckreiz hervorrufen. In Taring Padis Auffassung symbolisiert der Reis das indonesische Volk. Es ist mild, allgegenwärtig, kann aber eben auch irritieren.

In Indonesien genießt Taring Padi Kultstatus. Ihren Anfang nahm Gruppe in den Neunzigerjahren, die Gründungsmitglieder waren damals Kunststudenten am Institut Kesenian Indonesia (ISI) in Yogyakarta. Sie hatten ihre Kreativität in den Dienst der Protestbewegung gegen das brutale autokratische Regime von Präsident Suharto gestellt. Taring Padis Banner, Plakate und Pappfiguren waren bei den Straßenprotesten dabei, die  Suharto im Frühjahr 1998 schließlich zum Rücktritt zwangen. Seitdem ist die Gruppe fester Bestandteil der indonesischen Kulturlandschaft. Die Einladung zur Documenta 15, die dieses Jahr von einer befreundeten, ebenfalls aus Indonesien stammenden Künstlergruppe kuratiert wird, war für Taring Padi zwar ein Meilenstein, doch es ist nicht das erste Mal, dass das Kollektiv auf nationalen und internationalen Ausstellungen vertreten ist.

Taring Padi Yogyakarta Indonesien Documenta Fifteen
Vor dem Skandal: Vorbereitungsarbeiten für die Documenta Fifteen im Studio der Gruppe Taring Padi. © Muhammad Fadli

Als wir das Studio im Mai 2022 besuchen, liegen bis zum Startschuss der Documenta 15 noch etwa vier Wochen vor uns. Es herrscht eine angeregte, betriebsame Stimmung. Zu Surya Wirawan alias Yoyok gesellen sich Muhammad Yusuf, genannt Ucup, und Dodi Irwandi, auch Gründungsmitglieder, sowie knapp ein Dutzend weitere Sympathisanten aus mehreren Generationen. Von den an diesem Tag im Studio Anwesenden reisen Ucup und Dodi mit nach Kassel sowie Fitri, Yana, Bayu und Awan, die eine jüngere Generation der Gruppe repräsentieren. Es müssen noch einige Materialien vorbereitet und verpackt werden. Endlich kommen auch die Reisepässe mit den Visas an.

Taring Padis Antritt bei der Documenta sollte ein Triumph werden; die Gelegenheit, der Welt eine Geschichte zu vermitteln, die bislang noch nicht im Mainstream angekommen ist. Die Journalistin Elizabeth Pisani hatte im Jahr 2016 in einem Artikel im Guardian Indonesien „Das größte unsichtbare Ding auf der Erde“ genannt, weil das immerhin viertgrößte Land der Welt so selten in der internationale Berichterstattung vorkommt und weil so wenig über seine jüngere Vergangenheit bekannt ist.  Zum Beispiel, welche wichtige geopolitische Rolle Indonesien in der Zeit des Kalten Krieges einnahm. Und welches kollektive Trauma das Land erfuhr, als im Jahr 1965, mit der Unterstützung westlicher Geheimdienste, Sukarno – der erste, visionäre Präsident des Landes – von Suhartos Militärdiktatur gestürzt wurde. Diese historischen Ereignisse, die von indonesischer Seite bis heute nicht vollständig aufgeklärt wurden, bilden den Hintergrund von Taring Padis frühem Schaffen. Heute arbeitet das Kollektiv vor allem mit zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammen, zum Beispiel um bei ethnisch oder religiös motivierten Konflikten innerhalb Indonesiens zu vermitteln oder um indigene Völker zu unterstützen, deren Land von Palmölkonzernen zerstört wird.

Doch zu einem breiten Dialog zu diesen Themen kam es auf der Documenta 15 nicht. Statt eines Triumphs erlebte Taring Padi eine tiefe Blamage und zog massenweise Kritik und Zorn auf sich. Eines ihrer Riesenplakate, das zentral in Kassel angebracht worden war, zeigt – neben vielen anderen grobschlächtigen Karikaturen – einige eindeutig antisemitische Darstellungen. Das Banner ist rund 20 Jahre alt und war damals gefertigt worden, um gegen das Ungleichgewicht zwischen staatlichen Großmächten und der zivilen Bevölkerung zu protestieren. Als die antisemitischen Bilder auffielen, sollte das Plakat zunächst nur verhängt werden. Taring Padi entschuldigte sich öffentlich, bedauerte die Wahl der Bildsprache und versicherte, dass das Werk keine judenfeindliche Absicht habe.

Doch diese Erläuterung reichte nicht aus. Stattdessen verschärfte sich die Kritik weiter. Zumal auch Ruangrupa, dem indonesischen Kuratorenteam der Documenta 15, vorgeworfen wurde, eine in Teilen antisemitische Ausstellung geplant zu haben. Taring Padis Werk auf dem zentralen Friedrichsplatz wurde schließlich vollständig entfernt, und die Documenta stürzte in eine Krise, die zum Rücktritt der Documenta-Chefin Sabine Schormann führte.

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