Ausstellungstipps

Die besten Herbst-Ausstellungen: Teil 2

Von Henri Matisse in Kopenhagen über Hieroglyphen in London bis zu den schönsten Sonnenuntergängen in Bremen: Diese Ausstellungen begleiten uns durch den Herbst

Von Tim Ackermann & Clara Zimmermann
27.09.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 203

Viel Ausstrahlung

„Sunset. Ein Hoch auf die sinkende Sonne“, Kunsthalle Bremen, 26. November bis 2. April 2023

Für manche ist er Romantik pur, für die anderen der größte Kitsch. Der Sonnenuntergang markiert das Ende vom Tag und den Anfang der Nacht. Von der Romantik bis zur Gegenwart, vom Feuerball hinter den Bergen bis zum winzigen Pünktchen am Horizont, von dunkelrot bis leuchtend weiß – bei der künstlerischen Dokumentation dieses Spektakels sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Die sich im Farbenmeer spiegelnde Abendsonne mit dem wohlklingenden Titel „Coucher de soleil à Grâce, ciel orangé et violet“ hielt Félix Vallotton im Jahr 1918 auf der Leinwand fest. Doch was hat es mit dem Phänomen auf sich, das sich zwar täglich wiederholt, aber trotzdem immer wieder anders wirkt? Diesen Gegensätzen geht die Ausstellung nun auf den Grund. Zum Glück begeisterte das Motiv der sinkenden Sonne so ziemlich alle großen Kunstschaffenden der letzten Jahrhunderte, sodass die Bremer aus einem fast unendlichen Fundus schöpfen konnten.

Magie der Melancholie

„Weltflucht und Moderne“, Albertinum Dresden, 14. Mai bis 15. Januar 2023

Ohne Adele wären die Bilder von Oskar Zwintscher ziemlich leer. Der Maler aus Sachsen, 1870 geboren und gerade einmal 46 Jahre alt geworden, macht sie immer wieder zu seinem Modell. In Porträts wie dem „Bildnis der Frau des Künstlers“ von 1901 verdichtet Zwintscher die Atmosphäre jener Zeit zur eindringlichen Selbstbefragung. „Weltflucht und Moderne“ nennt passend das Albertinum in Dresden seine Retrospektive aus eigenen Beständen und mit Leihgaben, die den Künstler erneut ins Bewusstsein rücken soll. Damals war er in Mode, doch das schmale Œeuvre und sein früher Tod haben den Symbolisten nahezu unsichtbar gemacht. Zum Vergleich seiner malerischen Qualität hängen auch Werke von Otto Dix oder Gustav Klimt.

Oskar Zwintschers „Bildnis der Frau des Künstlers“
Oskar Zwintschers „Bildnis der Frau des Künstlers“ von 1901, zu sehen in Dresden. © Lenbachhaus

Alltagsfreuden

„Die gute Moderne. Von der Passion, Design zu sammeln“, Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig, 5. November bis 8. Oktober 2023

Wie dokumentiert man gutes Design? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, lohnt es sich, die umfangreiche Sammlung aus Objekten der Alltagskultur von Inge und Wilfried Funke zu inspizieren. Seit den Achtzigerjahren sammelte das Ehepaar Gebrauchsgegenstände, die schon immer weit mehr als ihre Funktionalität zu bieten hatten. Vom blauen Vasen-Terzett nach einem Entwurf Wilhelm Wagenfelds aus den 1970er-Jahren über eine Salzlettendose von Heinrich Löffelhardt bis zum Camping-Service von Tapio Wirkkala – die Designs des 20. Jahrhunderts verzaubern uns noch heute und beweisen: Über guten Geschmack muss nicht gestritten werden.

Blaues Vasen-Terzett nach einem Entwurf Wilhelm Wagenfelds
Blaues Vasen-Terzett nach einem Entwurf Wilhelm Wagenfelds aus den 1970er-Jahren. © Privatsammlung

Offenes Atelier

„Matisse: The Red Studio“, Statens Museum for Kunst, Kopenhagen, 13. Oktober bis 26. Februar 2023

Wundersame Motivverdoppelung: Es ist eine geniale kuratorische Idee, Henri Matisse’ fauvistisches Hauptwerk „Das rote Atelier“ (1911) aus dem New Yorker MoMA mit allen Arbeiten des französischen Malers zusammenzubringen, die in dem Interieur abgebildet sind. Die Bronze „Jeannette IV“ (1911) oder der „Akt mit einem weißen Schal“ (1909) aus der Szene sind nun gleichzeitig als Originale präsent. Die Schau wurde vom MoMA und dem Statens Museum for Kunst organisiert. Wer nicht zum Auftakt nach New York konnte, hat jetzt in Europa die Chance, in Matisse’ Atelier einzutreten.

Die Kunst der Entzifferung

„Hieroglyphs: unlocking ancient Egypt“, British Museum, London, 13. Oktober bis 19. Februar 2023

Sprachforschung ist kein Ausstellungsthema. Es sei denn, es geht um die Bilderschrift des alten Ägypten: Das Wissen um die Hieroglyphen war lange verloren, und das British Museum erinnert an die mühevollen Entzifferungsversuche der Gelehrten – bis vor exakt 200 Jahren der Linguist Jean-François Champollion das Rätsel mithilfe des Steins von Rosette löste. Der Franzose im Dechiffrierrausch erkannte dann auch die Inschrift auf der Mumienkartonage der Lady Baketenhor (späte 22. Dynastie, 945–715 v. Chr.) als Gebet.

Mumienkartonage der Lady Baketenhor
Mumienkartonage der Lady Baketenhor (späte 22. Dynastie, 945–715 v. Chr.). © Courtesy of the Natural History Society of Northumbria / Tyne & Wear Archives & Museums

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