Die Schweizerin Anna Anderegg ist mit einer fünfstündigen Tanz-Performance zu Gast im Deutschen Architektur Zentrum. Dabei bewegt sie sich zwischen analogen und digitalen Sphären
ShareKann man gemeinsam allein sein? Die Schweizer Choreografin und Tänzerin Anna Anderegg hat es selbst erlebt, als sie und ihr Team während der Corona-Pandemie nach Südkorea reisten, um dort ihr Projekt „Alone Together“ auf der Gwangju Biennale zu präsentieren. Ihre Arbeit war der offizielle Beitrag des Schweizer Pavillons. Nach der Ankunft wurde die Gruppe in ein Quarantäne-Hotel gebracht, wo sie sich 14 Tage lang isolieren mussten. Währenddessen arbeiteten sie weiter am Projekt und die Erfahrungen der Isolation wurden so zu einem integralen Teil der Arbeit.
Die zunehmende Verlagerung unserer sozialen Begegnungen von der analogen in die digitale Welt hat Anderegg schon vor Beginn der Pandemie fasziniert und bildet die Grundlage für ihre Arbeit. Wie wirkt sich die Digitalisierung auf unser soziales Miteinander aus? Wie verändert sich unser Bezug zu physischen Räumen und urbaner Architektur, wenn wir im Kopf nur noch durch digitale Sphären streifen?
Es ist schwierig heutzutage noch klare Trennlinien zwischen analogen und digitalen Räumen zu ziehen. In „Alone Together“ spielt die Choreografin mit dem Verschwimmen dieser Grenzen. Während der Performance hält eine der Tänzerinnen einen aufgeklappten Laptop vor ihr Gesicht. Auf dem Bildschirm ist ein weiteres Antlitz zu sehen, welches nach und nach mit ihrem Körper zu fusionieren scheint. Es ist ein Tanz zwischen Nähe und Distanz, zwischen Realität und Virtualität.
Im Erdgeschoss des Deutschen Architektur Zentrums DAZ lädt Anderegg nun dazu ein, Teil einer futuristischen Welt zu werden, in der unser Bezug zum physischen Raum langsam verschwindet. Zwei große Säle bieten ausreichend Platz, um zwischen den Tänzerinnen und fragilen Stahlkonstruktionen in endlos scheinende Netzwerkräume einzutauchen. Spätestens wenn die Beleuchtung ausgeht und blinkende Turnschuhe, Handy- und Computerscreens die einzigen Lichtquellen im Raum sind, bekommt man das Gefühl in einem Paralleluniversum gelandet zu sein. Die martialisch anmutenden Bewegungen sind meist sehr langsam, aber stets bestimmt. Nur eine grün leuchtende digitale Uhr auf dem Boden erinnert daran, dass die Zeit noch normal voranschreitet. Die Choreografie ist exakt auf den eindringlichen Surround-Sound von Tonkünstler Marco Barotti abgestimmt. Dabei entsteht ein pulsierender Dialog zwischen Klängen und Tanz sowie Licht und Schatten.
Anderegg hinterfragt unser zwiespältiges Verhältnis zu der endlosen Flut an digitalen Bildern, die uns tagtäglich überwältigt und der Suche nach körperlicher Nähe, Empathie und Aufmerksamkeit. Die fünfstündige Loop-Struktur der Performance bildet dabei einen starken Kontrast zur elfminütigen Filmarbeit, die im ersten Saal zu sehen ist. Sie entstand zum Teil während des Lockdowns in Seoul und zeichnet eine Reise durch leere Straßen und verlassene Plätze nach. Urbane Räume, einsame Zimmer und Menschen vor Bildschirmen werden in einem schnellen Bilderfluss hintereinander gezeigt. Damit passt sich die Arbeit an unsere immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen, wie sie auch Social-Media-Videos ausnutzen, an. Die Performance hingegen zerrt das Gefühl des Alleinseins, der räumlichen Distanz und Isolation in die Länge. Anna Anderegg schafft es dabei, dass sich das Publikum im Rhythmus der tanzenden Körper verliert und Entschleunigung physisch erfahren kann.
„Alone Together“
Deutsches Architektur Zentrum (DAZ), Berlin
Der Einlass zur Performance erfolgt über Zeitfenster. Der Aufenthalt ist danach zeitlich unbegrenzt möglich.