Im Jahr 1957 reiste Evelyn Richter zum ersten Mal nach Moskau, wo sie die jungen Menschen auf dem Roten Platz in einer Momentaufnahme festhielt. Die Reise war ein Wendepunkt in ihrer fotografischen Entwicklung
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27.10.2022
Evelyn Richter, eine der großen Chronistinnen der DDR, reiste 1957 zum ersten Mal nach Moskau. Anlass war ein Fotowettbewerb im Rahmen der sogenannten Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Die Großveranstaltung, die alle zwei Jahre in international wechselnden Städten vom Weltbund der Demokratischen Jugend ausgerichtet wurde, fand in diesem Jahr in der Hauptstadt der Sowjetunion statt. Die Reise war ein Wendepunkt in ihrer fotografischen Entwicklung, sie stieg um auf eine kleinere Kamera und begann mit verschiedenen Langzeitprojekten, etwa Aufnahmen in der Tretjakow-Galerie, die sie über viele Jahre immer wieder festhielt. Die jungen Menschen auf dem Roten Platz, die sie in einer klug gewählten Momentaufnahme einfing, starren auf ein Zentrum der Macht in der damals zweigeteilten Welt. Nur eine junge Frau wird abgelenkt durch die Kamera. Der Kalte Krieg war damals auf einem ersten Höhepunkt angelangt, ein Jahr zuvor hatten sowjetische Truppen den Ungarn-Aufstand blutig niedergeschlagen. Noch durchzog keine Mauer das geteilte Europa, doch die Blöcke waren schon festgefroren. Wladimir Putin hat nie verwunden, dass der Kreml, das stolze und brutale Machtzentrum des Ostens, nach dem Zerfall der Sowjetunion global immer mehr an Bedeutung verlor. Dass die Blicke der Menschen in Osteuropa und im Rest der Welt sich neuen Zentren zuwandten. Er träumt noch immer von der Übermacht Russland. Also fing Putin im Februar dieses Jahres einen großen Krieg in Europa an. Nun gilt ihm, dem Narziss, wieder unsere volle Aufmerksamkeit. Nun starren wieder alle nach Moskau. Ängstlich zwar und voller Verachtung. Doch Hauptsache, wir starren.
Übrigens: Der Kunstpalast in Düsseldorf zeigt bis 8. Januar eine große Ausstellung der Fotografin Evelyn Richter.