Französische Möbel

Wie wohnt die Republik?

Während in Deutschland das Bauhaus das moderne Wohnen neu definierte, standen sich an der Seine zwei Lager gegenüber: das funktionale Design und die opulente Ornamentik. Eine Ausstellung des Mobilier national in Paris zeigt nun das französische Savoir-vivre zwischen 1930 und 1960

Von Alexandra Wach
18.10.2022

Schon der prächtige Austragungsort in der Avenue des Gobelins könnte nicht mehr Ehrfurcht einflößen. 1607 als privates Unternehmen gegründet, stieg dieses ab 1667 zur Königlichen Tapisserie-Manufaktur auf. Bis heute ist sie im Besitz des französischen Staates, eine Mischung aus Werkstatt, in der Tapisserien für die staatlichen Gebäude angefertigt werden, und Ausbildungsstätte für Museen. Hier also werden sie zum ersten Mal in einer Retrospektive zusammengebracht, die 200 Designstücke, die der Essenz des französischen Savoir-vivre zwischen 1930 und 1960 eine Gestalt geben sollen.

Zwei Lager standen sich am Beginn der 1930er-Jahre an der Seine in der Welt der Dekoration gegenüber. Die Union des artistes modernes (UAM) war gerade unter der Leitung von Jean Prouvé, Charlotte Perriand, Le Corbusier und Robert Mallet-Stevens gegründet worden mit dem Ziel eines Befreiungsschlags. Design sollte nicht mehr schön, sondern vor allem funktional sein. Die Société des artistes décorateurs (SAD) hielt dagegen und orientierte sich an der Internationalen Ausstellung für moderne dekorative und industrielle Kunst von 1925, die der Ornamentik, dem Handwerk, den verwendeten Materialien und der Neuinterpretation verschiedener Dekorationsstile eine wesentliche Rolle zuwies.

Raphaël Raffel Bureau
Raphaël Raffels Schreibtisch aus lackiertem Birnbaumholz (1955). © Mobilier national, DR

Angeführt wurde diese Fraktion von dem Berufsstand der Dekorateure. Von 1930 bis Ende der 1950er-Jahre waren es diese Innenarchitektinnen und -architekten, die mit Aufträgen des Mobilier national überschüttet wurden, einer sehr französischen staatlichen Einrichtung, deren Aufgabe bis heute darin besteht, die Palais des französischen Präsidenten und wichtiger Institutionen des Staates mit hochwertigen Möbeln und Teppichen aus französischer Produktion auszustatten – und damit natürlich nicht zuletzt auch die hiesige Luxusindustrie zu fördern. Außerdem soll sie die über 130.000 Stücke aufbewahren und restaurieren. Mit jedem neuen Präsidenten wechselt folglich das Inventar des Élysée-Palasts. Zuletzt hat Emmanuel Macron vorwiegend moderne Möbel bestellt, während seine Frau Brigitte eine Vorliebe für Stücke aus den 1930ern und 1940ern zeigte, weswegen einige der von ihr ausgewählten Möbel jetzt in die Ausstellung ausgeliehen wurden.

Und die ist eine veritable Zeitreise, reich an Wendungen, auf Wände projizierten zeitgenössischen Filmausschnitten von Interieurs und Namen, die man nicht auf Anhieb weltbekannten Ikonen zuordnen kann: Jules Leleu, Jean Pascaud, Etienne-Henri Martin, Gilbert Poillerat oder Raphael Raffel. Wie gingen diese Hüter des guten Geschmacks vor? André Arbus etwa schwebte eine luxuriöse Kommode vor. Er schmückte sie mit einer bronzenen Qualle. Sie war vom Bildhauer Vadim Androusov signiert und wurde 1936 für den ovalen Salon des Landwirtschaftsministeriums in Auftrag gegeben. Nach jedem begutachteten Ensemble, das einen Raum als Gesamtidee ins beste Licht setzen soll, drängt sich zunehmend die Einsicht auf, dass hier Meister der repräsentativen Veredelung am Werk waren, sei es bei der Auswahl der Materialien wie Pergament, vergoldete Bronze, Kristall und Lack, bis zur exquisiten Linienführung des Designs. Die Szenografie des Designers Vincent Darré, einst rechte Hand von Karl Lagerfeld, setzt auf die nur in Ansätzen originalgetreue Rekonstruktion „historischer Räume“, die es erlauben in den jeweiligen Zeitgeist einzutauchen, vom opulenten Neo-Barock über Art déco bis zum gelegentlichen Purismus in der Bürogestaltung.

André Arbus Bureau
André Arbus schuf den Schreibtisch 1945. © Mobilier national, Isabelle Bideau

„Ich war sehr gerührt, dass Hervé Lemoine, der Leiter des Mobilier national, mir diese Mission angeboten hat“ sagt Vincent Darré. „Es war für mich eine Premiere, eine Szenografie in einem Museum zu schaffen. Auf so einen Vorschlag habe ich lange gewartet! Ich hatte bereits darin experimentiert, aber in kleinerem Maßstab, insbesondere im Ritz und in der Monnaie de Paris.“

Am Anfang stand die Sichtung der Bestände des Mobilier national. „Es ist ein wenig bekannter Ort“, erzählt Darré. „Ich wollte zeigen, dass wir uns nicht nur in einem Möbelgeschäft oder einem denkmalgeschützten Museum befinden, sondern an einem lebendigen Ort. Botschaften, Ministerien, das Elysée und alle wichtigen öffentlichen Einrichtungen wählen hier ihre Möbel aus. Möbel, die sich weiterentwickeln, denn der Mobilier national bestellt auch bei jungen Designern.“ Nicht wenige der Stücke mussten erst restauriert werden. „In dieser Szenografie habe ich für die Handwerker eine Hommage hinzugefügt“, erklärt der Designer. Ein ganzer Raum ist der Weltausstellung von 1937 gewidmet, die mit der Neuheit elektrisches Licht punktete. Die Beleuchtung wurde von Designern neu erfunden, sie spielten mit Glas und anderen Materialien. Eine kubistisch angehauchte Architektur im puristischen Weiß legt darüber hinaus den Fokus auf Vasen, Schalen und Lampen, die zum Kunstwerk stilisiert wurden.

Vincent Darré
Skizze der von Vincent Darré entworfenen Szenografie. © Maison Vincent Darré

Im zweiten Stockwerk geht es mit den 1940er-Jahren weiter, die Jahre des Krieges, aber auch eines Höhenflugs von Farben, exemplarisch veranschaulicht an einem von André Arbus ausgesuchtem Schreibtisch in elfenbeinfarbenem Lack, vergoldeten Bronzen und marokkanischen Mustern in einer Umgebung, in der ein Hauch von „schockierendem Rosa“ einer Elsa Schiaparelli den Ton angibt. Man flaniert weiter vorbei an Empfangsräumen, Bade- und Gästezimmern, die repräsentativ für die ästhetischen Veränderungen sind, die von Präsident Auriol und seiner Frau ausgingen, darunter Stützmöbel aus Lack, schwarzem Holz, schwarzem Marmor und vergoldeter Bronze von Dominique und Paul Cressent oder einem Schminktisch aus verchromtem Kupfer, Spiegel und Glas von Colette Guéden. Die Moderne harmoniert hier perfekt mit Theatralik, mitten in den 1950er-Jahren, wo der Pop langsam Einzug hält. Zu Beginn der 1960er übernehmen schließlich Designer die machtvolle Position der Dekorateure, die Industrie möchte möglichst viele Menschen in den Genuss vom Design kommen lassen. Eine Epoche geht zu Ende.

Service

Ausstellung

„Le Chic! Dekorative Kunst und französische Möbel von 1930 bis 1960“,

12. Oktober bis 29. Januar

Galerie des Gobelins, Paris

mobiliernational.culture.gouv.fr

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