Im Herbst werden im Amsterdamer Rijksmuseum Krabbeltiere zu Kunststars, Alex De Corte zeichnet eine albtraumhafte Version eines vollfarbigen Wunderlands, und die Londoner Tate Modern vereint zahlreiche Meisterwerke Paul Cézannes
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02.10.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 204
Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, bis 8. Januar
In Alex Da Cortes Ausstellungsparcours „Mr. Remember“ hat das märchenhafte Universum der Popkultur eine Bruchlandung hingelegt und ist in seine Einzelteile zersplittert: Hier steht der riesige schwarze Hut einer Hexe im Treppenhaus. Dort lässt eine böse Königin auf einer Videoleinwand das Blut der Betrachter gefrieren. An anderer Stelle scheint ein Wächter in einer Fantasieuniform in Schlaf gesunken. In dieser nicht sehr kindgerechten, weil albtraumhaften Version eines vollfarbigen Wunderlands wird auch Da Cortes Kurzfilmkomposition „Rubber Pencil Devil“ gezeigt, mit der er 2019 die Venedig-Biennale aufmischte.
Rijksmuseum, Amsterdam, 30. September bis 15. Januar
Dass nicht nur ein großes Panzerviech sondern auch kleines Krabbelgetier das Zeug zum Kunststar hat, beweist das Rijksmuseum mit einer Doppelausstellung: Die eine Schau erzählt von „Clara“, die 1741 aus Indien nach Rotterdam kam. Malergrößen der Zeit wie Pietro Longhi porträtierten das zahme Panzernashorn. Die zweite Ausstellung „Crawly Creatures“ richtet dann ihre Aufmerksamkeit auf die sonst eher vernachlässigte Welt der Insekten: Albrecht Dürer fand 1505 einen Hirschkäfer so faszinierend, dass er ihn minutiös malte, und auch in Maria Sibylla Merians „Pampelmusenzweig mit grüngestreifter Urania-Motte“ sind die flatternden Kerlchen viel mehr als nur Staffage.
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz, 30. September bis 10. April
Neuen Räumen nähert sich Candida Höfer mit dem gründlichen Auge eines Forensikers. Kein Detail entwischt dem Objektiv ihrer Großformatkamera. Jede noch so unbedeutende Spur in „Kunstmuseum Liechtenstein Kunstdepot Schaanwald I 2021“ – selbst der Schmutzfleck auf der Betonwand – behauptet selbstbewusst die eigene Existenz und leitet dennoch hin zum übergeordneten Narrativ. So sind mehrere vielschichtige Fotografieporträts der klarkantigen Architektur des Kunstmuseums Lichtenstein entstanden. Aufnahmen, die Höfer nun mit Kunstwerken aus der Haussammlung mischt, die eine ähnlich minimalistische Sprache sprechen.
Bonnefantenmuseum, Maastricht, bis 30. Oktober
Sich auf dünnem Eis bewegen – so sagt die Redewendung. Die Künstlerin Melati Suryodarmo bewegte sich hingegen in ihrer Performance „Exergie – Butter Dance“ (2005) auf Butter: Im Trommelrhythmus tanzte sie auf hohen roten Schuhen auf der Stelle, stolperte, fiel und fing, schon ganz mit Fett beschmiert, von vorne an. Das vergebliche Ringen der Indonesierin mit ihrem Schicksal ist in Maastricht in einem Dokuvideo zu sehen. Von ihrer einstigen Lehrerin Marina Abramović hat Suryodarmo den intensiven Körpereinsatz übernommen, so auch in der Arbeit „Head Piece“ (1997), in der sie ihre Fäuste neben ihrem Kopf in raschem Tempo hin- und herdreht.
LWL-Museum, Münster, 28. Oktober bis 5. Februar
Ein einprägsamer Spitzname und ein ungeklärter Tod reichten, um den rotbärtigen Stauferkaiser Friedrich I. zum Mythos zu machen: Auch stolze neun Jahrhunderte nach seiner Geburt anno 1122 ist Barbarossa den meisten ein Begriff. Die große Jubiläumsschau ist bereits gestartet mit ihrem ersten Teil auf Schloss Cappenberg bei Unna – dem einstigen Klostersitz von Barbarossas Taufpaten Otto von Cappenberg. Ab Ende Oktober läuft dann die Hauptausstellung im LWL-Museum Münster parallel. Einige historisch bedeutsame Preziosen wie die sogenannte „Taufschale“, die der Kaiser seinem Paten schenkte, oder der Cappenberger Kopf, den man lange als Porträt des Staufers fehldeutete, reisen zwischen den beiden Orten. In Münster wird zudem eine Version der Sächsischen Weltchronik aus dem 14. Jahrhundert präsentiert, die unter anderem an Begebenheiten aus dem Leben Barbarossas erinnert, wie das Mainzer Hoffest von 1184 oder seinen letalen Badeunfall 1190 während des Kreuzzugs.
Tate Modern, London, 5. Oktober bis 12. März
Man kann nie genug Cézanne sehen! Natürlich sind die Gemälde des Franzosen mit ihren festkonturierten Apfelbergen und farbköstlichen Bergmassivansichten, die der Moderne den Weg aus der Tupfenwelt des Impressionismus aufzeigten, bis in den letzten Pinselstrich ausstudiert. Und doch wirkt aus den Bildern ein ungebrochener Zauber, nicht zuletzt, weil Paul Cézanne mit seinem Einsatz von Orange, Braun, Grün und Blau die Farbstimmung der Provence genial trifft. Die Tate hat jetzt so ziemlich alles zusammengeholt, was die Wände amerikanischer Museen hergeben – darunter das „Stillleben mit Äpfeln“ von 1893/1894 aus dem Getty Museum in Los Angeles. Und im Original sieht man diese Spitzenwerke dann doch eher selten zusammen.