Diesen Monat erfreuen wir uns an den abstrakten Fotografien von Alfred Erhardt in Berlin, reisen ins New York der 1970er-Jahre und entdecken das Kunstpotenzial der Müllentsorgung
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01.11.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 206
Museum Tinguely, Basel, bis 8. Januar
Als Jean Tinguely 1960 damit begann, kinetische Skulpturen aus Schrott zusammenzusetzen, demonstrierte er Nachhaltigkeit, lange bevor der Begriff populär wurde. Mit Verweis auf die Pionierleistung fragt das Museum Tinguely nun, welches Kunstpotenzial die Müllentsorgung hat. Auf die zunehmende Umweltverschmutzung reagierten etwa Nicolás Garciá Uriburu und Joseph Beuys 1981 mit ihrem Multiple „Rhein Water Polluted“. Und Eric Hattan erfand einen Mülleimer, der seinen Inhalt demonstrativ wieder in die Welt zurückschleudert.
Alfred Ehrhardt Stiftung, Berlin, bis 23. Dezember
Mit ihrer Jubiläumsschau zeigt die Alfred Ehrhardt Stiftung, dass die Forschung zu diesem Fotografen der Neuen Sachlichkeit auch nach 20 Jahren noch neue Erkenntnisse bieten kann: Präsentiert werden nämlich nicht nur jene ziemlich abstrakt wirkenden Fotografien des von Wind und Wasser strukturierten Wattenmeerbodens aus den Jahren 1933 bis 1936, für die Ehrhardt heute bekannt ist, sondern auch erstmalig seine bisher unentdeckte Serie „Deutschlandreise ’49“ („VW Käfer, Volkswagenwerk, Wolfsburg“, 1949). Zudem ist eine Kompilation von neu digitalisierten Experimentalfilmen des Künstlers am 18. November im Berliner Kino Babylon zu bewundern.
Museum of Modern Art, New York, bis 18. Februar
„In, aber nicht aus der Kunstwelt“ – das war das Motto von Linda Goode Bryant, die 1974 mit Just Above Midtown (JAM) eine Galerie dezidiert für afroamerikanische Künstlerinnen und Künstler gründete. „In“, weil ihre Räume im New Yorker Galerienviertel lagen, „aber nicht aus“, da der Kunstbetrieb von weißen Gesichtern dominiert wird. JAM setzte einen Kontrapunkt: Hier zeigte der Maler Palmer Hayden Bilder wie „The Subway“ (um 1941), und Senga Nengudi führte die Performance „Air Propo“ (1981) auf. Auch die heutige Künstlerlegende David Hammons schuf dort ihre Body-Prints, wie die mit Archivmaterial gespickte Würdigung des MoMA zeigt.
Bucerius Kunst Forum, Hamburg, bis 15. Januar
Auch Revolutionen von oben kommen nicht ohne Propaganda aus: Ab 27. v. Chr. regiert Augustus als princeps senatus und entmachtet den römischen Senatsadel, was de facto das Ende der Republik bedeutet. Die künftige Bündelung der Staatsmacht in einem Alleinherrscher muss dem Volk zwar nicht explizit, aber doch implizit vermittelt werden. Deshalb lässt Augustus sein Selbstporträt in Form von Büsten, Statuen oder Münzen im Reich zirkulieren und fokussiert so die Blicke auf seine Person. Die Hamburger Ausstellung illustriert mit über 200 Objekten, wie die Bilder die Macht stützten. Über seine Nachfolge hatte sich Augustus ebenfalls Gedanken gemacht, und ab 4 n. Chr. dafür seinen Stiefsohn Tiberius auserkoren. Dieser verewigte sich dann nach dem Tod des Kaisers unter anderem auf einer Kamee (14–22/23 n. Chr.) zusammen mit seiner Mutter Livia.
Kunstmuseum Schloss Derneburg, bis 23. April
Betrachtet man „Labyrinth“ von 1984 aus der Ferne, lässt sich zunächst gar nicht zweifelsfrei feststellen, was man vor sich hat: Skulptur? Malerei? Einen Farbnebel? Diese Verwirrung ist typisch für die 1948 in São Paulo geborene Künstlerin Lydia Okumura, die nicht nur bei diesem einst zerstörten und dann 2017 neu geschaffenen Werk die Grenze zwischen Zweidimensionalität und Dreidimensionalität verschwimmen lässt: In anderen Arbeiten verlängert sie zarte Grafitlinienzeichnungen oder geometrische Farbflächen durch aufgespannte Garnfäden in den Raum hinein. So mischt sie auf lässige Art den brasilianischen Neoconcretismo mit der minimalistischen Skulptur eines Fred Sandback. Sehr sehenswert!
Städel Museum, Frankfurt, bis 22. Januar
Schöne Idee, einmal nicht den Giganten des Kupferstichs zum Thema zu machen, sondern seine Vorgänger. Denn die ein halbes Jahrhundert „vor Dürer“ erfundene Drucktechnik machte in kurzer Zeit Innovationssprünge: Der anonyme Meister ES, der sich von der Malerei inspirieren ließ, stach ab 1450 bemerkenswert plastische Figuren („Vogel-Zwei“ aus dem „Größeren Kartenspiel“, um 1463–1467) und machte die Kreuzschraffur populär. Und der große Martin Schongauer erfand ganz eigene kuriose Szenen wie „Der Heilige Antonius, von Dämonen gepeinigt“ – wodurch er Dürer beeinflusste, dessen früher Stich „Adam und Eva“ dann doch in der Schau ist. Aber nur als Schlusspunkt.