CoBrA in Mannheim

Freiheit durch Farbe

Nach dem Zweiten Weltkrieg brauchte die europäische Kunst einen Neuanfang: Die Kunsthalle Mannheim zeigt ab diesem Wochenende, wie 1948 die internationale Gruppe CoBra zusammenfand

Von Gerd Presler
17.11.2022

Sie kannten sich schon länger, als sie am 8. November 1948 im Café des „Hotel du Nord“ nahe Notre-Dame in Paris zusammenkamen: Der Däne Asger Jorn, die Belgier Christian Dotremont und Joseph Noiret und die drei Holländer Karel Appel, Constant und Corneille. Aus den Anfangsbuchstaben der Hauptstädte ihrer Länder bastelten sie den Namen der Künstlergruppe: Co(penhagen), Br(üssel), A(msterdam), zu der sie sich an diesem Abend zusammenschlossen. CoBrA verstand sich als Vorreiter eines nach seiner kulturellen Identität suchenden Nachkriegs-Europa, und die Kunst sollte dabei ihre ureigene Aufgabe wahrnehmen: Welt zu gestalten aus Zeichen.

Schon bald schlossen sich weitere Künstlerinnen und Künstler an. Else Alfelt und Carl-Henning Pedersen aus Dänemark. Aus Belgien kam Pierre Alechinsky dazu, aus den Niederlanden Anton Rooskens und Theo Wolvecamp, aus Deutschland Karl Otto Götz.

Die Wurzeln dieses Neuanfangs reichen einige Zeit zurück: „Schon in den Dreißiger- und Vierzigerjahren entwickelte sich in Dänemark eine experimentelle Kunst im Widerstand gegen das nationalsozialistische Kunstverständnis“, schreibt der Kunsthistoriker Troels Andersen in seiner Biografie über Asger Jorn. Der dänische Maler war die zentrale Figur. Auf seiner kleinen Presse entstand die illegale Zeitung „Freies Dänemark“. 1943 versteckte er die Widerstandskämpferin Doritt Jensen. Und er kämpfte nicht allein: Carl-Henning Pedersen hatte 1939 in einem „furchteinflößenden Deutschland“ die Ausstellung „Entartete Kunst“ auf ihrer Station in Frankfurt am Main gesehen und wusste, was auf die zukam, die nicht systemkonform malten – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark und den anderen europäischen Ländern. Während der Kriegsjahre in den Niederlanden mussten Karel Appel, Constant und Corneille immer wieder vor den deutschen Besatzern fliehen. Jorn malte 1945 sein „Befreiungsbild.“

„Mit Faustschlägen durch die Mauer hindurchgearbeitet“

Solche Erfahrungen trieben die Malerinnen und Maler zu radikalen Schritten. Karel Appel schrieb am 2.12.1947 an Corneille: „Ich arbeite Tag und Nacht. Erst jetzt habe ich wahrhaft angefangen. Plötzlich, heute Nacht, habe ich‘s gefunden! Meine Arbeit ist von jetzt an kraftvoll, primitiv, stärker. Ich vergewaltige die Farbe. Ich habe mich mit Faustschlägen durch die Mauer hindurchgearbeitet.“

Karel Appel
Karel Appel, „Ohne Titel/Untitled“, 1947 © Karel Appel Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Völlig frei: Es gab kein von einem Thema gesteuertes Geschehen auf der Leinwand, auf dem Papier. Nichts war vorgegeben, vorgeplant, vorgedacht. Linie, Fläche und Farbe gehörten sich selbst. Gerold Kaiser sprach um 1978 von der „kompromisslosen Hinwendung zum Material. Der Dialog zwischen tastender Hand und Material war für den Arbeitsprozess entscheidend. Jede gesetzte, getropfte oder auf die Leinwand geschleuderte Linie oder Farbfläche fordert zu schöpferischer Aktivität heraus. Es entsteht ein Liniengestrüpp und ein Farbfleckendickicht – und in diesem Augenblick ist das ‚Bild‘ ein idealer Nährboden für assoziatives Sehen.“ Kein Wiedererkennen. Dafür ein fantasievolles Finden: Der Betrachter entdeckt. Und dann tauchen sie auf, die Feen, Trolle und Nixen, die „geliebten Viecher in der Nacht“, die Kobolde, Masken und „blauen Seelen“.

Im Jahr 1951 hatten sich Asger Jorn und Christian Dotremont schließlich mit ihrem Einsatz für CoBrA bei den Vorbereitungen zur „1. Exposition Internationale d’Art Experimental“ im Palais des Beaux-Arts in Lüttich völlig verausgabt. Beide brachen gesundheitlich zusammen: Die Künstler litten an fortgeschrittene Tuberkulose und Unterernährung. Eine Einweisung in das Lungensanatorium im dänischen Silkeborg war die Folge.

Auch CoBrA zerbrach. Der kurze Impuls einer Generation europäischer Künstlerinnen und Künstler konnte nicht fortgeführt werden. Aber: „Aus heutiger Sicht steht unbestritten fest, dass der Aufbruch, den die CoBrA-Künstler hervorriefen, zu den entscheidenden und folgenreichsten Aktivitäten in der Kunst der Moderne nach 1945 zählt, CoBrA ist ein Meilenstein in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhundert“, schrieb 1998 der Kunsthistoriker Klaus Wolbert.

Die Kunsthalle Mannheim hat diese historische Situation, diese Sicht auf eine Welt voller unberührter, verborgener Wirklichkeiten in ihr Haus geholt. Museen aus Dänemark (Louisina Museum in Humlebaek, Museum Silkeborg), Schweden (Moderna Museet Stockholm), den Niederlanden (Stedelijk Museum in Amsterdam, Museum Boijmans van Beuningen Rotterdam), Deutschland (ZKM Karlsruhe) und Frankreich (Centre Pompidou in Paris) erwiesen sich als großzügige Leihgeber.

Service

Ausstellung

„Becoming CoBrA – Anfänge einer europäischen Kunstbewegung“

18. November bis 5. März 2023

Kunsthalle Mannheim

 

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