Mit Möbeln trifft Henrike Naumann künstlerische Aussagen zu Politik und Gesellschaft. In den vergangenen Jahren vor allem zu Deutschland und Osteuropa. Jetzt aber hat die in Zwickau geborene Künstlerin sich erstmals auch mit Trump auseinandergesetzt – mitten in New York
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21.11.2022
Möbel haben Henrike Naumann schon als junges Mädchen fasziniert. „Ich bin 1984 in Zwickau in der ehemaligen DDR geboren und als dann 89 die Mauer gefallen ist, war ich zu klein, um zu verstehen, was politisch um mich herum passiert“, sagt die Künstlerin. „Aber ich habe gesehen, dass alle sich Möbel gekauft haben – und dass es im Prinzip so eine Möbel-Transformation und -Vereinigung gab, zwischen DDR-Möbeln und westdeutschen billigen postmodernen Möbeln.“
Inzwischen lebt und arbeitet Naumann in Berlin und nutzt Möbel und Design in ihrer Kunst, um über Gesellschaft und Politik zu sprechen – in den vergangenen Jahren vor allem über Deutschland und Osteuropa. Eine Skulptur von ihr war beispielsweise gerade in Kiew zu sehen, als Russland im Februar die Ukraine angriff. Kurz darauf gelang es, die teilweise zerstörte Skulptur aus dem Land herauszuholen und im Gropius Bau in Berlin zu zeigen.
Jetzt aber hat sich Naumann erstmals in den USA mit den USA beschäftigt. Ihre Ausstellung „Henrike Naumann: Re-Education“ ist noch bis Ende Februar 2023 im Sculpture Center im Bezirk Queens zu sehen, einem renommierten Skulptur-Ausstellungshaus.
Eine eigene Schau in New York zu haben sei „Wahnsinn“, sagt Naumann, die für die Arbeit daran auch zum ersten Mal in ihrem Leben in die USA gereist ist. „Unfassbar.“ Sie sei „glücklich und dankbar“, in New York ausstellen und ihre künstlerische Arbeit weiterentwickeln zu dürfen. Die ersten Kritiken waren positiv. „Naumann zeigt, wie stark die materielle Kultur sein kann, wenn sie sich mit größeren Überzeugungen zusammentut“, schrieb beispielsweise das Magazin „Brooklyn Rail“.
Mit dem Wort „Re-Education“ beziehe sie sich einerseits auf die Entnazifizierung der Deutschen durch die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg und andererseits auf ihre eigene Neu-Erziehung in den 90er Jahren, als sie sich hauptsächlich über das Fernsehen „so eine second-hand amerikanische Kultur aus Westdeutschland“ erschlossen habe.
Mitten in einen großen, hohen Raum des Sculpture Centers hat Naumann einen Stuhlkreis gestellt – angelehnt an die Hufeisen-Theorie, nach der wie beispielsweise im Bundestag die Sitzordnung entlang des politischen Spektrums angeordnet wird. Die Stühle hat Naumann in New York auf der Straße, auf Flohmärkten oder im Internet entdeckt. Vom einfachen Klappstuhl auf der linken Seite geht es hinüber zu schweren hölzernen Sesseln auf der rechten. Aus einem dieser Sessel wachsen Hörner – eine Anspielung beispielsweise auf einen Mann, der bei der Attacke auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 dabei war und dabei einen Helm mit Hörnern trug.
An der Wand hat Naumann Kommoden, Schreibtische und Stühle übereinandergestapelt, dazwischen Mistgabeln und eine Axt – insgesamt hat das Ganze im Umriss etwa die Form der Kuppel des Kapitols. „Bei dieser Arbeit habe ich mich auf die Rolle der Möbel bei dem Sturm auf das Kapitol konzentriert“, sagt die Künstlerin. „Also weil die Möbel wurden ja sowohl genutzt, um Scheiben einzuschlagen und zu zerstören, aber das waren auch die Barrikaden, mit denen die Abgeordneten sich in ihren Büros verschanzt haben und die ihr Leben eigentlich gerettet haben. Und weil Möbel da so eine zentrale Rolle spielten, wusste ich – das ist mein Zugang.“
Dabei stellt sich Naumann die Frage: Wie kann man sich an ein Ereignis wie die Attacke auf das Kapitol erinnern? Und es habe sie gewundert, dass es bislang vergleichsweise wenig künstlerische Auseinandersetzung mit der Trump-Präsidentschaft gegeben habe, sagt Naumann. „Das ist meine Expertise. Schwierige Ästhetik, wo man nachdenken muss, weil einem das Lachen im Hals stecken bleibt.“ Die ersten Reaktionen der Besucher seien auch sehr spannend für sie gewesen, sagt Naumann. „Tolle Gespräche“ habe sie bereits führen können. Am liebsten wäre es ihr, wenn die Ausstellung noch durch die USA touren könnte, sagt die Künstlerin. Sie wolle gern sehen, wie die Schau außerhalb von New York aufgenommen werde. (dpa)